96. Die Königstochter und der Frosch

In alter Zeit lebte einmal in einem fernen Lande ein König, der hatte eine bildschöne Tochter. Die spielte einmal an einem wunderschönen Tage im Walde unter einer großen Eiche an einer silbernen Quelle mit einem goldenen Apfel. Auf die lustigen Wellen schauend, warf sie ihren Apfel in die Luft und fing ihn beim Zurückfallen mit der Hand auf. Aber einmal machte ihre Hand eine Fehlgriff, und der Apfel fiel in die Quelle und verschwand im selben Augenblick aus ihren Augen. Die Not und das Unglück waren groß, und sie fing in ihrer kindlicher Kummer an zu weinen.

Da erschien vom Quellengrund ein Frosch auf der Oberfläche des Wassers und fragte mit freundlicher Stimme: "Was weinst du, Königstochter?" Sie seufzte und erzählte von ihrem Unglück und sagte: "Hole mir den Apfel wieder zurück, er ist mir sehr lieb, ich gebe dir, wenn nötig, ein halbes Königreich!" Der Frosch aber antwortete: "Wenn Sie mir erlauben, bei Ihnen zu schlafen, dann erfülle ich Ihren Wunsch, sonst aber nicht." Die Königstochter versprach es, aber dachte bei sich: "Wer wird denn einen Frosch zu sich nehmen und dann noch mit ihm zusammen schlafen!"

Bald kam der Frosch auf die Oberfläche, holte den Apfel hervor und gab ihn der Königstochter. Sie nahm den Apfel an, lief weg und schaute nicht mehr zurück, obwohl der Frosch ihr nachschrie: "Königstochter, nimm mich mit!" Wie gesagt, achtete sie gar nicht darauf, sondern eilte nach Hause, und zu Hause angekommen, legte sie sich gleich zur Ruhe ins Bett.

Als sie erwachte, hörte sie den Frosch hinter der Tür rufen: "Königstochter, laß mich herein!" Die Königstochter dachte nicht einmal daran. Da kam der alte König. Er hörte sich die Geschichte von Anfang bis Ende an und sagte zu seiner Tochter: "Hast du das versprochen, dann mußt du auch dein Wort halten!" So mußte die Königstochter den Frosch zu sich nehmen.

Bald fing die Königstochter an zu essen und hopp! war auch der Frosch auf dem Tisch und verschlang - o Wunder! - den Braten. Die Königstochter ließ es ruhig geschehen. Als sie gegessen hatten, wollte sich die Königstochter wie gewöhnlich nach dem Mittagessen zur Ruhe legen. "Nimm mich auch mit!" rief der Frosch und sprang zu der Königstochter ins Bett. Da ergriff die Königstochter, von einem heftigen Zorn gepackt, den Frosch am Oberschenkel und warf ihn an die Wand, wobei sie sagte: "Jetzt kannst du nicht mehr schlafen, du unverschämter Frosch!"

Im gleichen Augenblick aber fiel von der Wand ein schöner Jüngling auf den Fußboden und stand dann vor der königlichen Jungfrau. Er fiel der Jungfrau um den Hals und dankte ihr für die Errettung, und sie war mit dem Jüngling zufrieden. Am anderen Morgen teilte ein Diener ihnen mit, daß eine goldene Kutsche mit sechs Pferden und vielen Sachen vor der Tür stehe und alle diese Sachen zur Hochzeit des Königssohnes bringe. Kurz gesagt: "Was für eine prächtige Hochzeit wurde das!"