94. Erst Ferkel, dann Schwiegersohn des Königs

Der Sohn eines Bauern und der Sohn eines Häuslers wuchsen zusammen auf. Von klein auf spielten sie zusammen, dann hüteten sie zusammen die Schweine, später das Vieh, und zuletzt trennten sie sich auch bei der Arbeit nicht. So war also alles gut, aber weil der Häuslersohn ein viel hübscheres Gesicht als der Bauernsohn hatte, fing der Bauer an, den Sohn des Häuslers zu hassen und verwandelte ihn schließlich mit Hilfe einer Hexe in ein Ferkel, und das Ferkel lief in den Wald.

So verging ein halbes Jahr, und der Herbst brach an. Das Ferkel fraß im Wald Graswurzeln und Reiser und alles, was es finden konnte. Einmal war der König auf der Jagd, und es geschah so, daß er sich in diesem Wald verirrte. Je mehr er versuchte herauszukommen, desto tiefer in den Wald kam er. Schließlich wurde er sehr müde, setzte sich hin und fing an nachzudenken, was er anfangen sollte. Auf einmal erschien das Ferkel und fragte, was dem König fehle, daß er so besorgt dasitze. Der König wunderte sich sehr, daß das Ferkel sprach und sagte dann auch, daß er sich verirrt habe. "Wenn du es willst, kann ich dich wohl herausführen", sagte das Ferkel. "Aber welchen Lohn willst du dafür haben?" fragte der König. "Nichts anderes, als daß du mich mit in dein Schloß nimmst und mir zu essen gibst", antwortete das Ferkel.

"Wohl ist es schrecklich, ein Ferkel mit ins Schloß zu nehmen, aber wie komme ich sonst hier heraus!" dachte der König und stimmte dem Handel zu. Das Ferkel wackelte voraus, der König hinterdrein, bis sie aus dem Wald und weiter in das Schloß des Königs gelangten. Als der König zu Haus alles über sein Verirren und die Abmachung erzählt hatte, waren die Seinigen sehr dagegen, das Ferkel in das Schloß zu nehmen, und als der König sagte, daß er nicht anders handele, wie einmal versprochen, wurden alle sehr griesgrämig und wütend. Nur die jüngste Königstochter fand das Ferkel schön und lieb, so daß sie ihren Vater fragte, ob sie es für sich haben dürfe. Der König gab es ihr gern und befahl ihr, gut für das Ferkel zu sorgen.

Das Ferkel wohnte auf diese Weise längere Zeit im Königsschloß, schlief im Ofen, aß zusammen mit der Königstochter und unterhielt sich gut mit ihr, aber daß es früher ein Mensch gewesen war und dann in ein Ferkel verhext wurde, davon hatte es nichts gesagt.

Einmal machte der König mit seiner ganzen Familie eine Lustfahrt, und das Ferkel bat die Königstochter, daß sie es mit in die Kutsche nehmen würde. Das wollte man zunächst wohl nicht zulassen, aber später nahm man es doch mit. Die Königstochter fuhr mit ihrer Kutsche hinter den anderen und unterhielt sich mit dem Ferkel. Schließlich bat das Ferkel, daß die Königstochter es doch einmal küsse. "Wer sollte das wohl in der Kutsche sehen?" dachte die Königstochter und küßte das Ferkel. Im selben Augenblick war das Ferkel verschwunden und an seiner Stelle saß ein unbeschreiblich schöner Jüngling neben der Königstochter. Der Jüngling erzählte jetzt alles, wie der böse Bauer ihn in ein Ferkel verwandeln ließ, weil er schöner als der Bauernsohn war, und wie die Hexe gesagt hatte, daß er dann wieder zum Menschen werden könne, wenn eine Königstochter ihn küssen würde. Weil es heute geschehen war, war er vom Zauber für immer gerettet und nun bereit, der Königstochter zum Dank ein treuer Diener bis zum Tode zu bleiben.

"Nicht Diener sollst du mir werden, sondern lieber Gatte", erwiderte die Königstochter und brachte den Jüngling, nachdem sie angehalten hatte, zu ihrem Vater. Der König und alle wunderten sich: Woher ist der schöne unbekannte Jüngling gekommen? "Das ist das Ferkel, das du mir gabst", erklärte die Tochter dem König. "Hast du es mir einmal gegeben, dann laß es mir endgültig zum Mann werden." Der König war sehr froh und erlaubte es auch gleich, aber die älteren Töchter begannen zu widersprechen: Weshalb sollte die jüngste Schwester zuerst heiraten? Sie bestand jedoch mit Nachdruck auf ihrem Recht und antwortete den anderen: "Als das Ferkel ins Schloß kam, wolltet ihr es mit Gewalt verjagen, aber jetzt, nachdem ich aus dem Ferkel einen Jüngling gemacht habe, wollt ihr ihn für euch haben. Seht, ihr bekommt ihn nicht, und damit Schluß!"

Nach einigen Tagen wurde die Hochzeit gefeiert, und aus dem Häuslerssohn, der in ein Ferkel verhext gewesen war, wurde der Schwiegersohn des Königs und schließlich auch noch sein Thronerbe. Seinen armen Vater nahm er zu sich ins Schloß, aber den Bauern und die Hexe, die ihn in ein Ferkel verwandelt hatte, ließ er durch eine kluge Hexe in alte Schweine verhexen. Die Bauernsöhne aber, mit denen er zusammen aufgewachsen war, nahm er als Diener ins Schloß und sagte ihnen vorher noch zur Lehre: "Nehmt das Unglück des Vaters zur Lehre und sucht niemals Nutzen aus dem Schaden anderer und Glück aus dem Unglück anderer zu ziehen, denn auf Sonnenschein folgt Regen."