91. Die Frau auf der Suche nach ihrem Gatten

In alter Zeit lebte eine Frau, die hatte eine Tochter. Da ging die Frau, sich einen Schwiegersohn zu freien, und sagte der Tochter: "Backe zwei Kuchen!" Die backte sie auch, nahm sie mit und ging los. Und es begegnete ihr zuerst ein Hase, der sagte: "Guten Tag, Gevatter, wohin gehst du?" Und die Frau sprach: "Gott mit dir, ich gehe auf die Freite." Der Hase aber sagte: "Nimm auch mich zum Gevatter!" Und die Frau nahm ihn mit und gab ihm die Hälfte eines Kuchens, damit er nicht mehr den Kohl fresse.

Ein wenig später kam ihr ein Fuchs entgegen und fragte auch: "Wohin gehst du?" Und ihm antwortete die Frau wiederum: "Ich gehe auf die Freite." Und wiederum sagte der Fuchs: "Nimm auch mich zum Gevatter!" Und sie nahm auch den Fuchs mit und gab ihm eine Kuchenhälfte, damit er nicht mehr Hühner fresse.

Und dann kam ihr auch ein Wolf entgegen und fragte auch: "Wohin gehst du?" Und sie sagte ihm auch: "Ich gehe auf die Freite." Und dann sagte der Wolf: "Nimm mich zum Gevatter!" Aber sie wollte ihn nicht nehmen, sondern sagte: "Pfui, du bist doch der Wolf!" Zuletzt aber nahm sie ihn doch und gab ihm auch eine Kuchenhälfte, damit er nicht mehr das Vieh fresse.

Zuletzt aber kam ihr noch der alte Bär entgegen und auch er begrüßte sie und fragte: "Wohin gehst du?" Und die Frau sagte ihm auch: "Ich gehe auf die Freite." Und der Bär sagte bloß: "Mag sein, nimm mich zu deinem Schwiegersohn!" Die Frau aber wollte es nicht und sagte: "Ob aus dir ein Schwiegersohn wird? Du bist doch ein Bär! Sieh, ich darf mit dir nicht nach Haus gehen!" Der Bär aber ließ nicht nach, sondern sagte nur: "Sieh, ich fresse dich auf!" Na, was konnte sie anderes tun als ihn mitnehmen. So nahm sie denn auch den Bären an die Hand und ging nach Hause, der aber brummte nur.

Als die Frau nach Hause kam, sagte sie zur Tochter: "Sieh, da ist dein Mann!" Die aber erschrak sehr und sagte: "Ich will ihn mir gar nicht ansehen!'' und lief fort. Der Bär aber sprach: "Fürchte dich nicht, mit der Zeit wird alles gut werden." Und da vertrug sich die Tochter mit ihm, und sie gingen am Abend zusammen schlafen. Die Mutter aber ging zuhören: "Nun wird er wohl meine Tochter auffressen!" So hörte sie zu, wie der Bär sich mit der Tochter unterhielt. Und die Tochter sagte zu dem Bären: "Geh fort von mir!" und befahl es ihm mehrere Male. Der aber widersetzte sich (ihr) gar nicht. Zuletzt konnte die Frau nichts mehr hören und ging weg, möge (er) nun tun, was (er) will.

Am anderen Morgen aber stand der Bär mit der Tochter wieder auf, es gab keinen Schaden. Da aßen sie alle schön zusammen (und) gingen dann am Abend wieder schlafen. Die Mutter ging wiederum zuhören, was sie (da) tun, und hörte, daß die Tochter dem Bären wiederum sagte: "Geh fort!" Der aber wollte nicht fortgehen (und) gehorchte nicht dem Befehl. Da ging die Mutter wiederum weg - möge (er) nun mit ihr tun, was (er) will. Als sie aber am Morgen aufstanden, war es keine Not. (Sie) aßen hübsch zusammen, und die Mutter merkte schon, daß er kein Bär war, sondern nur Bärenkleider trug. Und sie begann bei der Tochter nachzuforschen und erfuhr: "Zur Nacht zieht er seine Bärenhaut aus und dann ist er ein Mensch wie andere."

Da machte die Mutter (diese Sache) zu ihrer Sorge und ging zum Zauberer, um nachzufragen, ob man dafür etwas tun könnte, daß er wieder zu einem Menschen würde. Und er lehrte sie denn auch, daß man eine Grube (ein Grab) graben und Steine rot ("blutig") heizen und in die Grube stecken müsse; wenn der Bär dann seine Bärenhaut abzieht, müsse man sie in die Grube werfen, so daß sie verbrennt.

So tat denn auch die Mutter. Als der Bär am Abend wiederum schlafen ging, zog (er) die Haut ab, sie warf sie in die Gruft und die Haut begann anzubrennen. Da sagte der Mann schon im Bett: "Ich weiß nicht, was für ein angebrannter Geruch mir in die Nase dringt?" Die Frau aber sprach: "Wer weiß, vielleicht werden gerade Schweine gesengt." So schlief er wohl ein, nach einer kurzen Weile aber erwachte er wiederum und sagte: "Der Brandgeruch ist doch sehr stark!" Da stand er auf und ging die Haut ansehen, aber was! Das Häutchen war schon verbrannt! Da lief der Mann fort, aber sein Mundtuch blieb in der Hand der Frau.

So gingen sie wieder zu dem Weisen, um nachzufragen, was nun zu tun sei. Und der Weise lehrte sie: "Macht eiserne Stiefel und einen eisernen Stock und backt eine eiserne Semmel und geht damit auf die Suche!"

So taten sie denn auch, und die Frau ging (ihren) Mann suchen. So lange ging sie ihres Weges, bis sie ein Häuschen traf. Das Haus drehte sich auf einem Gänsefuß knarrend von ganz allein herum. Und sie sagte zu dem Häuschen: "Zu mir mit der Tür, zum Wald mit dem Fenster!" Da blieb das Häuschen stehen. Sie schaute hinein und sah, daß dort eine Frau mit dem Spinnrad Garn spann. Als sie sie erblickte, fragte sie: "Was für ein Wanderer bist du?" Da erklärte sie ihr: "So und so, ich bin auf der Suche nach meinem Mann, beim Suchen habe ich schon den eisernen Stock und die eisernen Stiefel verbraucht und die eiserne Semmel aufgegessen, aber immer noch kann ich ihn nicht finden." Da gab die Frau ihr neue Stiefel und einen neuen Stock und gab noch kupferne Äpfel dazu und befahl ihr weiterzugehen.

So ging sie auch weiter so lange, bis ihr wiederum ein Häuschen begegnete. Das drehte sich auf einem Gänsefuß herum, und sie sagte wiederum: "Zu mir mit der Tür, zum Wald mit dem Fenster!" Da blieb das Häuschen stehen, sie schaute ins Zimmerlein, und dort spann wiederum eine Frau Garn und sie fragte: "Was suchst du?" Da erklärte sie ihr auch: "Ich suche meinen Mann, wie könnte ich zu ihm kommen." Die Frau aber sagte: "Du wirst nicht zu ihm kommen können, bis du noch ein Paar eiserne Stiefel abgetragen hast." Und sie gab ihr ebenfalls andere eiserne Stiefel und silberne Äpfel und belehrte sie wiederum, wie sie weitergehen soll.

Da ging (und) ging die Frau wiederum eine lange Strecke so lange, bis sie wiederum an ein Häuschen gelangte. Das Haus drehte sich auf einem Gänsefuß herum, und dort drinnen spann wiederum ein Weib Garn. Es fragte auch: "Auf welchem Gang bist du?" Da erzählte sie ihm auch: "Ich suche (meinen) Mann." Und dann lehrte es sie: "Ich weiß wohl, wo er ist, er ist dort auf dem Gut, wenn du dorthin gehst, dann zerteile auf dem Brunnenrand diesen kupfernen Apfel, aber gib ihn dann niemandem, ehe dein eigener Mann dich suchen kommt!" Da gab ihr das Weib noch einen goldenen Apfel und wies sie dorthin zum Gut. Da ging sie denn hin, setzte sich auf den Brunnenrand und zerteilte ihren kupfernen Apfel, da aber wurde (=entstand) eine Borte daraus, wie es eine solche nirgends in der Welt gibt. Da kamen und wunderten sich alle Gutsleute und wollten sie kaufen, niemand aber erhielt sie. Da sagten sie dem Aufseher: "Geh, sieh zu, Aufseher, ob du sie bekommst!" Da ging er hin und forderte die Borte für sich. Sie aber sagte: "Ich gebe sie dir nicht, wenn du mich nicht eine Nacht bei dir schlafen läßt." Und der Aufseher sagte: "Was denn, ich nehme dich mit!" Da gab sie ihm die Borte, und sie schliefen die Nacht zusammen.

Am anderen Tag aber ging die Frau wiederum an den Brunnenrand und zerschnitt den silbernen Apfel in zwei Teile, da wurde eine noch hübschere Borte daraus. Und wiederum kam das ganze Volk, um sie zu kaufen. Aber niemand erhielt sie, bis wiederum der Aufseher kam und fragte: "Was willst du für die Borte?" Sie aber sagte: "Ich will nichts anderes als eine Nacht bei dir schlafen." Und er versprach es ihr auch. Da gab sie ihm wiederum die Borte und schlief auch diese Nacht bei ihm.

Am dritten Tag ging die Frau wiederum zum Brunnen und zerschnitt den goldenen Apfel. Da wurde die allerschönste Borte daraus, wie noch niemand eine solche gesehen hatte. Da lief das ganze Volk herbei, um sie für sich zu gewinnen, aber niemand erhielt sie. Zuletzt kam wiederum der Aufseher und fragte: "Was willst du für die Borte haben, wenn du sie mir gibst?" Sie aber sagte: "Sieh, ich verlange nichts anderes als bei dir zu schlafen." Und er gestattete es ihr auch.

So gingen sie wiederum zusammen schlafen. Da aber erkannte der Aufseher, daß es seine eigene Frau war, die zu ihm zum Schlafen kam. So wurden sie beide guten Mutes, daß die, die zusammengehörten, sich wieder trafen. Und da begann der Mann zu erzählen: "Sieh, Weiblein, was für eine Mühe du nun beim Suchen gehabt hast. Hättest du mich aber noch drei Nächte bei dir schlafen lassen, dann hätte ich selbst die Bärenhaut weggeworfen und wäre ein vollständiger Mensch geworden. Aber sieh, du konntest nicht warten und verbranntest sie. So mußte ich denn fliehen."

Dann gingen sie wieder zu ihrem Haus und lebten dort fröhlich zusammen und leben vielleicht noch bis zum heutigen Tag.