Das Gutspferd und das Gesindepferd waren große Freunde. Wo sie auch immer zusammentrafen, grüßten sie einander höflich. Wenn aber irgend freie Zeit war, saßen sie nieder und plauderten über Erde und Wetter. Einmal aber wurde das Gutspferd eitel und sagte zum Gesindepferd: "Du bist, Freundchen, doch wohl von niedriger Herkunft, ziehst den Wagen, ziehst den Pflug im Kreis, schleppst die Egge hinter dir her, stinkst ganz nach Schweiß. Sieh, wie ich lebe, nimm dir ein Beispiel an mir: ich fresse reinen Hafer, fahre nur feine Herren. Sieh, wie fein und zart meine Schenkel sind! Sieh, wie nett und sauber meine Hufe sind! Sieh, wie mein Fell glänzt, wie mein Hals sich neigt, wie die weiße Blesse auf meiner Stirn glänzt und leuchtet! Bin ich nicht, Freundchen, neben dir recht vornehm?" "Du bist, du bist wohl vornehm!" nickte das Gesindepferd.
"Ich weiß es; du brauchst es mir nicht noch zu sagen!" rief das Gutspferd und wurde noch eitler. "Ja, und wenn du noch sehen würdest, mit was für einem zauberhaften Schritt ich im Trab laufe! Und wie bebende ich bin! Der Boden schwindet völlig unter meinen blühenden Füßen, wenn ich vor einem leichten Federwagen wie der Wind im Galopp dahinbrause. Du, Freundchen, bist wohl nicht so flink im Laufen?" "Bin es nicht, bin es nicht."
"Ich weiß es, du brauchst es mir wohl nicht noch zu sagen. Du würdest wohl auch einen elenden Schafbock nicht besiegen, wenn du mit ihm um die Wette laufen würdest." "Den Schafbock würde ich vielleicht nicht besiegen, aber dich besiege ich sicher."
Eine solch unverschämte Antwort erbitterte das Gutspferd sehr. Es schnaubte verächtlich, stampfte mit den Füßen und machte den Vorschlag: "Versuchen wir es!" "Versuchen wir es!" stimmte das Gesindepferd zu.
Sie gingen auf die Koppel und machten es ab: sie werden so lange um die Koppel laufen, bis sie müde werden. Wessen Kraft zuerst schwindet, der ist der Verlierer; wessen Kraft bis zuletzt ausreicht, der hat gewonnen.
Das Gutspferd warf den Kopf zurück und wirbelte im Galopp dahin. Machte schon gleich die erste Runde, erreichte das Gesindepferd, eilte an diesem vorüber und wieherte mit lauter Stimme höhnisch: "Och-och, Wunder! Du läufst immer noch? Hast noch nicht verschnauft?" "Noch nicht, noch nicht", antwortete das Gesindepferd.
Bald hatte das Gutspferd auch die zweite Runde gemacht. Es erreichte wieder das Gesindepferd, schoß an ihm vorbei und wieherte wieder mit lauter Stimme und spottete: "Oh-oh, Wunder! Du läufst immer noch? Hast du noch nicht verschnauft?" "Noch nicht, noch nicht", antwortete das Gesindepferd.
Als das Gutspferd bei seiner dritten Runde das Gesindepferd erreichte und an ihm vorbeitrabte, wieherte es schon mit etwas leiserer Stimme. Es spottete des Freundes aber wie früher und rief: "Oh-Oh-Oh, Wunder! Du läufst... immer noch? ... Hast du ... noch nicht ... verschnauft?" "Noch nicht, noch nicht", antwortete das Gesindepferd und fragte: "Aber woher, Kollege, kommt es, daß du so keuchst?" "Ich schlug gerade mit dem Huf gegen einen Hügel", sagte das Gutspferd.
In der vierten Runde sagte das Gutspferd gar nichts, es lief am Gesindepferd äußerst leise und verstohlen vorbei. Das Gesindepferd fragte: "Woher, Kollege, kommt es, daß du so ächzest?" "Ich stolperte eben über einen Erdklumpen", sagte das Gutspferd.
Bei der fünften und sechsten Runde kam das Gutspferd dem Gesindepferd nach. Bei der siebenten Runde aber holte das Gesindepferd das Gutspferd ein, holte es ein, trabte vorüber und fragte: "Woher kommt es, teurer Kollege, daß du mich vorläßt?" "Mir kam ein Gedanke, ich muß ihn zu Ende denken!" antwortete das Gutspferd.
Bei der achten Runde aber bog das Gutspferd von der Rennbahn ab, legte sich hin und wälzte sich hebende. Das Gesindepferd fragte: "Ist etwa etwas Schlimmes passiert?" "Eine Bremse kam zwischen die Fliegen, stach so schmerzhaft, daß es durch Knochen und Fleisch ging. Ich jage sie fort und werde dann wohl wieder weiterlaufen, Zeit genug habe ich ja!" "Da hast du recht, Zeit hast du ja", neckte das Gesindepferd und setzte seinen Weg fort.
Bei der neunten Runde habe das Gutspferd den Wettkampf immer noch nicht fortgesetzt, es schlenderte mit verlegenem Gesicht in den Büschen im Kreis herum und suchte Grasblättchen. "Ist vielleicht Essenszeit, Freund?" fragte das Gesindepferd. "Ja, der Nebel ist ja im Steigen, das Herz wurde mir schwer ("wäßrig"). Mach, Freundchen, jetzt auch eine Pause, bis zum Morgen werden wir schon zu Ende kommen", sagte das Gutspferd. "Warte, warte eine kurze Zeit, ich mache noch einige zehn Runden und ein Dutzend Runden dazu, ich habe ja den Körper noch gar nicht richtig warm bekommen", antwortete das Gesindepferd.
Seit diesem Abend drängt es das Gutspferd nicht mehr zu übermäßigem Prahlen.