196. Der Königssohn und das Gewitter

Einst wurde einem König der junge Thronerbe geboren. Zur Zeit der Geburt habe die "Hebammenfrau" gesagt, der junge Thronerbe werde einen frühzeitigen Tod erleiden, nämlich durch den Blitz. Diese Voraussage war für den König und für die Mutter des jungen Prinzen sehr betrübend. Der König ließ zum Schutz und zur Hilfe ein unerhört starkes Schloß in einen Berg einbauen, wohinein er den jungen Kronenträger mitsamt seiner Amme und den Dienern verbarg. Der junge Kronenträger wuchs schon zu einem erwachsenen Mann heran. Mit Trauer habe er oft von seinen hohen Eltern wie auch von seinen Dienern gehört, daß er durch eine Vorherbestimmung den Blitztod sterben werde.

Das sei an einem sehr schönen sommerlichen Tag geschehen, die Natur sei schwül und trübe, wie leblos gewesen; die Luft habe sich so angefühlt, als wäre sie dick und schwer zum Atmen. Bald seien schwarze Gewitterwolkenhaufen am Himmelsrand zu sehen gewesen, die beim Näherkommen immer größer, dicker und schwärzer worden seien. Dann und wann war aus der Ferne Donnergrollen zu hören, während auch die Blitze immer näher kamen und ihre Pfeile zeigten. Der junge Kronenträger saß zu jener Zeit gerade in seinem sicheren Schutzsschloß und sah diese großartige Macht der Natur und ihre Gewalt durch das Fenster. Das Gewitter, das Berge, Täler, Wälder, Meere und Länder gleichsam in Bewegung setzte, wurde mit der Zeit aber immer stärker. Der Blitz mit seinen Pfeilen kam ebenso kräftig immer näher, seine Schläge schienen auch sehr schadenbringend zu sein. Dem jungen Kronenträger schlich die Angst ins Herz, er dachte: "Was hilft nun bei einer solchen Mächtigkeit des Menschen Abwehr?" Bald war der Krach des Donners so gewaltig, daß des Schutzschlosses riesenstarke Mauerwände sich zitternd bewegten, nachdem der Blitz mit seinen Pfeilen den Erdboden wie ein Feuermeer beleuchtet hatte. Der junge Kronenträger sei schnell aus der Tür hinausgesprungen, wonach auch sofort der zweite Krach gekommen sei. Als er unter dem hohen Himmelsgewölbe stand, sei bald der dritte Krach erschienen, dessen Folge aber die allerfürchterlichste war und die Wirkung der gewaltigen Mächte sehen ließ, denn des Kronenträgers sicheres Schutzschloß war in diesem Augenblick zu einem kahlen Steintrümmerhaufen zerschlagen.