187. Die Freunde halten abwechselnd den Bären

Zu alter Zeit, als in unserem Lande viele Bären waren, seien zwei Männer der Gemeinde Uusna in den Kilgi-Wald auf die Bärenjagd gegangen. Der Name des einen sei Munni Mihkel, der des anderen Laane Sammul gewesen. Munni Mihkel sei ein großer und starker Mann gewesen, wie ein Bär selbst, und sehr schüchtern, und Laane Sammul sei wohl auch ein großer Mann gewesen, aber was die Schüchternheit anbetrifft, so hätte man ihn mit einem Wolf vergleichen können. Na, gut und schön! Im Wald hätten sie also die Fährten eines Bären gefunden und seien auch mit dem alten Burschen, der brummend auf sie zugekommen sei, in einen Kampf verwickelt worden. Die Männer hätten so lange gewartet, bis der Bär ordentlich nahe gekommen war, und hätten dann Feuer gegeben, aber die Schüsse seien in den Wind gegangen und hätten dem Bären keinerlei Schaden angetan. Dieser aber sei nun sehr wütend auf die Männer zugestürmt. Sie hätten vor ihm die Flucht ergriffen, aber dem Laane Sammul sei es nicht geglückt, allzu weit vor dem Bären zu fliehen, und dieser habe ihn schon am Nacken ergreifen wollen, als er sich zu guter Letzt auf eine große Kiefer geschwungen habe. Der Bär sei sofort am Baumstamm hochgesprungen und habe die Pfoten um den Baum herumgeschlagen. Im selben Augenblick habe Sammul die Tatzen des Bären gepackt und sie nicht mehr losgelassen. Der Bär habe wohl gezappelt, aber was tun, der Mann läßt nicht los, mach, was du willst! Er selbst aber habe zu Munni Mihkel um Hilfe geschrieen, daß er den Bären niederschieße. Mihkel, so groß und stark wie er auch war, war aber von Furcht mürbe gemacht, und er habe nicht zu kommen gewagt. Er habe wohl von weitem gesehen, wie Sammul mit dem Bären gerungen habe, er habe auch gehört, wie er zur Hilfe gerufen worden sei, aber zu kommen habe er nicht gewagt und sei deshalb nach Hause gegangen.

Dann am zweiten Tag wagte er doch so viel, daß er in den Wald zurückging, um zu sehen, was mit Sammul geschehen war. Der aber habe noch immer den Bären festgehalten und habe schon von weitem dem Mihkel zugerufen: "Komm nur ruhig näher, er kann ja nichts machen, er ist ja noch in der Hand des Mannes." Da wagte auch Mihkel näherzukommen und sei ganz zu Sammul herangegangen und habe mit der Hand die Pfote des Bären berührt. Sammul habe schließlich dem Mihkel befohlen, den Bären niederzuschießen, aber der habe es immer noch nicht gewagt. Sammul habe deshalb gesagt: "Halt du ihn nun etwas fest, dann werde ich ihn eben niederschießen!" Und Mihkel habe denn auch den Bären festgehalten. Sammul aber habe keinen Schuß getan, sondern habe zu dem anderen gesagt: "So, jetzt halte du ihn fest, mein Magen knurrt, ich werde nach Hause essen gehen; zum Festhalten hast du Zeit genug, er zappelt ja auch nicht mehr sehr, aber hüte dich, ihn loszulassen, dann wird er dich wirklich umbringen!" Mihkel habe wohl gebeten, aber was half das; Sammul sei auch wirklich nach Hause gegangen. Nach dem Essen habe er schnell noch etwas geschlafen und gegen Abend sei er dann in den Wald gegangen, nach Mihkel zu sehen. Der aber habe immer noch den Bären festgehalten. Vor großer Angst habe er Tränen in den Augen gehabt. Nun habe Sammul die Flinte genommen und habe den Bären niedergeschossen.