180. Der Trotzkopf

In uralter Zeit habe auf einem Gut ein Mann gelebt, der immer nur stur seinen Eigensinn durchgesetzt habe. Im Sommer habe er auf dem Gut als Hirt gearbeitet, während er im Herbst und Winter das Amt des Gutsriegenaufsehers ("Riegenpfaffen") übernommen habe. Das sei solch ein Mann gewesen, der, wenn er mit jemandem angefangen habe zu streiten, nicht mehr nachgelassen habe, er habe nichts als seinen Eigensinn weitergetrieben. Wenn der andere ihm im Wortstreit nicht sein Recht gegeben habe, sei er in die Riege gegangen und habe sich dort auf dem gemauerten Herdstein schlafengelegt, wo er ununterbrochen mehrere Tage ohne zu essen und zu trinken geschlafen habe. Auch habe er im Laufe dieser Zeit nichts mit anderen zu tun haben wollen.

Einmal vor dem Weihnachtsfest habe er wieder mit einem Mann zu streiten begonnen. Da dieser Mann ihm den Sieg nicht habe geben wollen, habe der Eigensinnige sich sehr geärgert und sei in der teuren Festzeit in die Riege gegangen, um Fastentage zu halten. Die anderen hätten ihn wohl gebeten, doch aus der Riege ins Zimmer zu den anderen zu kommen, um das Fest zu feiern, aber mach, was du willst, der Eigensinnige läßt seinen Eigensinn nicht und kommt nicht ins Zimmer.

Es sei am Weihnachtsabend schon recht spät gewesen, als der Eigensinnige aus der Dreschscheune so etwas wie das Blöken von Lämmern gehört habe. Das habe eine Weile gedauert. Dann sei plötzlich alles still gewesen, so daß nichts mehr zu hören gewesen sei. Nach einiger Zeit habe der Eigensinnige plötzlich gespürt, daß jemand ihm seinen Rock von unter dem Kopf habe wegnehmen wollen. Jedoch habe der Eigensinnige seinen Rock wieder zurückgenommen und habe ihn erneut unter den Kopf gelegt. Da es in der Riege dunkel gewesen sei, habe er nicht gesehen, wer dieser Rockdieb war. Der Mann habe sich jedoch nicht viel darum gekümmert, noch habe er danach gefragt, wer dort sei, sondern habe sich von neuem schlafengelegt, den Rock immer unter dem Kopf.

Der Eigensinnige sei schon eingeschlafen, da habe er im Schlaf gespürt, daß so etwas wie ein Hund mit seiner kalten Schnauze seine Hand und sein Gesicht beschnuppert habe. Danach habe er noch gefühlt, daß jemand seine Füße gekratzt habe. Da aber zu der Zeit kein lebendiges Wesen in der Scheune gewesen sei, und da auch dem Eigensinnigen plötzlich Gespenster und Heimgänger in den Sinn gekommen seien, sei er plötzlich vor Schreck vom Herdstein aufgesprungen, habe den Rock gerafft und sei aus der Riege hinausgelaufen, geradewegs in das Zimmer, in dem die anderen wohnten. Die anderen hätten sich wohl gewundert, daß der Eigensinnige mitten in der Nacht und ungerufen aus der Scheune komme, aber den Grund hätten sie auch nicht erforschen wollen.

Als der Eigensinnige am nächsten Tage zur Riege gegangen sei, habe er auf dem Boden der Dreschscheune viele Ziegen- und Schafspuren gesehen. Von dieser Zeit an habe der Eigensinnige niemals mehr seinen Eigensinn getrieben, wenn er mit jemandem stritt. Später habe auch niemand mehr den alten eigensinnigen Mann in der Scheune gesehen. Doch der Name Trotzkopf sei ihm bis zum Tode geblieben. Den hätten ihm die anderen darum zugelegt, daß er stets nichtigen Eigensinn mit den anderen getrieben habe und niemals dem anderen habe Recht geben wollen.