142. Der Heiland unter den Sündern

Als Christus noch Mensch war und auf der Erde wandelte, traf er einmal mit einem Soldaten zusammen und ging zusammen mit ihm weiter. Am anderen Tag ging dem Soldaten das Brot aus. Da er selbst kein Geld hatte, bat er Christus, den er nicht kannte, um etwas Geld. Christus gab es ihm und sagte: "Geh ins nächste Dorf Brot kaufen, ich lege mich solange unter diesen Baum, um auszuruhen. Für das halbe Geld kauf für dich, und für das andere halbe für mich!" Der Soldat aber kaufte für das halbe Geld Brot und aß es auf und kaufte für die andere Hälfte Branntwein und trank den darauf; Christus aber log er vor, daß er dessen Brothälfte verloren habe. Christus, dieser Seher, tat so, als glaubte er des Soldaten Rede und ging, Hunger leidend, mit ihm weiter.

Am nächsten Tag gab er wieder dem Soldaten Geld und sagte: "Geh, kauf irgendwo ein Schaf, schlachte und koche es; alles übrige Fleisch iß du, nur das Herz und die Lunge bringe mir; ich erwarte dich hier im Wald." Der Soldat ging hin, kaufte ein Schaf, schlachtete es und gab es einer Hausfrau zum Kochen. Die Hausfrau kochte ganz zuerst das Herz und die Lunge und legte dann das übrige Fleisch zum Kochen. Aber während das Fleisch kochte, aß der Soldat das Herz und die Lunge schon auf, nachher auch das übrige Fleisch und ging mit leeren Händen zu Christi. Als Christus nach dem Herz und der Lunge fragte, antwortete der Soldat, das Schaf habe diese überhaupt nicht gehabt. Christus schwieg wieder und ertrug den Hunger.

Eines Tages fuhren sie mit einem Boot auf einem großen See. Als sie mitten auf dem See waren, ließ Christus starke Winde kommen; das Boot schlug um, und der Soldat rang mit dem Tode; Christus aber stand gerade ausgestreckt auf dem Wasser. Der Soldat bat, ihm zu helfen. Christus fragte, ob er des Schafes Herz und Lunge nicht aufgegessen hätte. Immer noch leugnete der Mann, bis ihm das Wasser schon in den Mund drängte, und bat, ihm zu helfen. Christus, dem es um seinen Tod leid tat, hob ihn aus dem Wasser heraus, kehrte das Boot um und half ihm hinein. Im Boot nahm er aus der Tasche eine Menge Geld, drückte es dem Soldaten in die Hand und befahl ihm, dieses in drei Teile zu teilen. Als das gemacht war, sagte er: "Einen Teil nimm dir und den anderen Teil gib mir!" "Aber der dritte Teil?" fragte der Soldat. "Der kommt dem zu, der das Herz und die Lunge des Schafes aufaß, denn das Schaf konnte ja nicht ohne diese sein." Der Soldat errötete, sah einmal aufs Geld, dann auf Christus und gestand schließlich seine Tat, indem er sagte, daß er das Herz und die Lunge aufgegessen habe. Christus wurde traurig und sagte zu dem Soldaten: "Du warst in Todesangst, und dennoch bekanntest du nicht deine Sünde, während aber die Geldgier dich dazu doch zwingen konnte. Geh, nimm dieses Geld und bessere dich!" Der Soldat nahm voll Freude beide Geldhaufen, ging aufs Land, geriet in ein Gasthaus und fing an zu trinken, alle Ermahnungen waren vergessen.

Christus traf später mit Petrus zusammen und ging mit ihm. Sie kamen einmal mit einem reichen Junggesellen zusammen, der eine Frau nehmen wollte, den aber alle Jungfrauen seiner Häßlichkeit und seines Alters wegen verachteten. Er bot Christus die Hälfte seines Vermögens, damit dieser ihn jung mache. Dem Petrus war das Geld auch lieb, und er bat den Herrn, ihn in dieser Sache zu belehren. Christus befahl Petrus, diesen reichen Burschen in Stücke zu schlagen, die Stücke auf einen Tisch zwischen zwei Laken zu legen und drei Tage und Nächte bei ihm zu bleiben, um ihn zu bewachen. Petrus tat so. Nach drei Tagen befahl Christus, ihn dreimal beim Namen zu rufen und dann das Laken abzunehmen. Petrus rief, und als er das Laken fortnahm, sah ihm dort ein hübscher, junger Mann lächelnd entgegen. Petrus war äußerst verwundert, ebenso dieser junggewordene Mann. Des letzteren Freude war endlos; er bot Petrus die Hälfte seines Vermögens, wie er versprochen hatte, was aber der Herr ihm nicht erlaubte entgegenzunehmen. Petrus wurde unwillig, er trennte sich von dem Herrn und dachte vor sich: "Reiche Alte gibt es genug, die jung werden wollen, und da ich jetzt diese Arbeit verstehe, kann ich nun auch mit dieser Arbeit wohl Geld verdienen."

Bald fand sich auch ein altes Fräulein, das Petrus eine große Summe bot, wenn er es jung und hübsch machen würde. Petrus sagte: "Erst die Arbeit getan, später der Lohn gezahlt!" Er schlug das Fräulein entzwei, legte es zwischen zwei Laken und blieb bei ihr wachen. Nach drei Tagen fing er an, sie beim Namen zu rufen, rief und rief, das Fräulein aber wachte nicht auf! Er rief schon viele Tage; das Fräulein fing an zu faulen, aber wachte nicht auf. Die Verwandten des Fräuleins wurden auf Petrus schon wütend und wollten ihn als einen Mörder vors Gericht bringen. Dem Petrus half kein anderer Rat, als daß er in großem Schrecken und Angst den Herrn zu Hilfe zu rufen begann. Der Herr erschien, tadelte zuerst Petrus, weil er sich auf seine eigene Kraft verlassen und so etwas vorgenommen hatte, und befahl dann, das Fräulein aufs neue zu rufen. Petrus rief, hob das Laken auf und siehe! das Fräulein lebte, war hübsch und jung. Die Freude des Petrus war endlos: er fiel vor des Herrn Füße nieder, dankte ihm mit Tränen in den Augen und bat, ihm seine Schwäche zu verzeihen. Christus hob ihn freundlich auf und nahm ihn wieder zu sich, und sie gingen gemeinsam weiter.

An einem dunklen Herbstabend gerieten sie zu einem reichen Hauswirt und baten um Nachtquartier. Ihnen wurde erlaubt, dort zu bleiben. Man brachte Stroh, es wurde ein Lager auf dem Fußboden aufgemacht, und Christus legte sich mit Petrus darauf. Am Morgen stieg das Hausvolk früh zum Dreschen auf. Der geizige Hauswirt sagte: "Was schlafen diese zwei jungen starken Männer dort, wenn sie nicht zum Dreschen kommen? Man weiß natürlich nicht, ob sie für die Nachtherberge Geld zahlen können oder nicht, und zu essen bekamen sie am Abend auch noch." Er ging, jagte die Schläfer auf und rief sie zum Dreschen; aber die Männer gingen nicht. Der Hauswirt nahm schließlich den Knüppel, ging hin und prügelte Petrus, der an der Seite schlief, durch. Christus sagte leise zu Petrus: "Laß, ich lege mich jetzt an die Seite; man wird dann sehen, ob er auch mich prügelt." Nach einiger Zeit kam der Hauswirt zurück, und als er die beiden Männer immer noch schlafen sah, sagte er: "Der erste bekam Prügel, es ist nötig, jetzt auch dem anderen etwas zu geben!" und prügelte wiederum Petrus durch und ging selbst in die Dreschscheune. Stöhnend stand Petrus auf und bat Christus, daß er mit ihm zum Dreschen kommen möchte, sonst würde er noch eine dritte Tracht Prügel kriegen. Christus stand auf und ging mit ihm. Das Getreide war schon aus dem geheizten Raum auf die Tenne gebracht worden, und die Familie war bei der Arbeit. Christus berührte mit einem Stöckchen das Getreide, und das Getreide fing an zu brennen. Die Menschen glaubten, daß das ganze Haus abbrennen wird, und fingen an zu schreien. Aber da verlöschte das Feuer von selbst, und alle sahen das Wunder: das Getreide war gedroschen, und das Korn lag mitten auf der Diele in einem Haufen, in einer Ecke das Stroh, in der anderen die Spreu und in der dritten die Hülsenkörner. Sie wollten Christus danken, aber Christus war mit Petrus verschwunden.

Christus und Petrus gingen weiter. Am dritten Morgen danach zeigte Petrus Christus eine große Rauchsäule und fragte, was dies bedeute. "Och", antwortete Christus, "der reiche Mann drischt wahrscheinlich das Korn. Er wollte das Getreide wieder so bequem gedroschen kriegen, wie das an jenem Morgen geschah, und steckte sein Korn in Brand. Dort geht nun sein Haus und Eigentum in Rauch zum Himmel hinauf." Plötzlich fing Petrus an, dorthin zu laufen. "Was hast du?" fragte der Herr. "Ich vergaß meine neuen Handschuhe an diesem Morgen dort unter der Dreschtenne an einem Wandpflock", antwortete Petrus. "Die bekommst du nicht mehr, sie sind schon zu Asche geworden, ehe du dorthin gelangst; tröste dich ihretwegen, dieser Hauswirt hat zehnmal mehr durch seine Habgier verloren als du und muß auch leben." Petrus schwieg und ging, ohne ein Wort zu sagen, mit Christus weiter.