138. Jedem sein eigenes Glück

Einst lebten zwei Brüder, aber ungeachtet dessen, daß der jüngste Bruder am Morgen der erste, am Abend der letzte bei der Arbeit war und immer eifrig arbeitete, war er dennoch arm, und der ältere war reich. In einer Johannisnacht geht der jüngere Bruder hinaus, um nach den Feldern zu sehen. Als er am Roggenfeld des älteren Bruders vorübergeht, sieht er, wie ein Mann den Roggen ausreißt. "Was tust du? Du zertrittst ja den Roggen!" "Nein", antwortete der andere, "ich nehme von dort, wo er dicht ist, und pflanze dorthin, wo er dünn steht." "Was für eine Art Mensch bist du denn eigentlich?" "Ich bin deines Bruders Glück." "Wo ist denn mein Glück? Ich sehe nichts davon auf meinem Feld arbeiten.." "Dein Glück schläft hinten am Ende des Feldes. Geh, frage es, warum es keine Arbeit tut!"

Der Mann geht und findet auch einen Mann am Rand seines Feldes schlafen. Er weckt ihn auf und sagt: "Wenn du mein Glück bist, warum hilfst du mir dann nicht?" Das Glück erhebt sich zum Sitzen, gähnt und sagt: "Ich bin kein Bauer. Werde Kaufmann, dann helfe ich dir." Der Mann lacht: "Ich bin ja ganz und gar arm, wie soll ich wohl Kaufmann werden, wenn ich sonst nichts habe als den Baststrick des Bruders?" "Dennoch kannst du anfangen, wenn ich mit dir bin", antwortet das Glück.

Der Mann erzählt niemandem von dieser Erscheinung, sondern verkauft seinen Hausrat, geht in die Stadt und fängt zunächst an, im kleinen zu handeln, und siehe, in einigen Jahren ist der Mann reich. Der ältere Bruder, als er dies sah, tat ebenso, obwohl der jüngere Bruder es ihm verbot. Er fing wohl am Anfang großartig an zu handeln, aber nach zwei oder drei Jahren war sein Vermögen unter dem Hammer. So soll jeder Mensch sein eigenes Glück haben.