137. Der Bruder will sich seine Schwester zur Frau

In alter Zeit lebten drei Brüder, und sie hatten eine Schwester. Da ging der mittlere Bruder in den Wald, sich ein Haus zu bauen. Die Schwester aber trug ihm das Essen nach. Der ältere und der jüngere Bruder nahmen sich eine Frau, und dann sagte der mittlere Bruder einmal zu der Schwester: "Woher werde ich nun eine Frau bekommen?" So sagte denn die Schwester: "Wie soll ich das nun wissen?" So sagte denn der Bruder wieder: "Vielleicht wirst du zu mir als Frau kommen?" Aber die Schwester wiederum entgegnete: "Brüderlein, es hat noch niemand in der Welt davon gehört, daß aus einem Bruder ein Mann für die Schwester wird!" So sagte denn der Bruder: "Dann wird es für mich wohl keine Frau geben." Da muß die Schwester ihm denn doch das Essen nachbringen, sie brachte es denn auch. Da baute der Bruder das Haus so lange, bis es fertig wurde. Dann legte er vor das Haus einen Hirschhorn-Drehriegel, und dann sagte er zu der Schwester: "Siehe, hier werde ich dich einsperren, wenn du nicht zu mir als Frau kommst." Was blieb der Schwester übrig, wenn man gehen muß, dann muß man eben gehen. Da ging sie in den Speicher, sich anzukleiden. Da stellte der Bruder einen Löwen vor die Tür zur Wache, damit sie nicht fliehe. Aber sie spuckte bloß auf die Truhe, und dann antwortete die Spucke dem Löwen, als der Löwe fragte: "Bist du schon fertig?" Dann sagte eben die Spucke: "Noch bin ich es nicht." So redete sie so lange, bis sie vertrocknete. Aber die Schwester ging durch einen Wandspalt hinaus und floh in den Wald. Sie ging durch den Wald, aber dann hörte sie auf einmal, wie der Löwe ihr nachzukommen begann. Da stieg sie auf eine Tanne hinauf, und als der Löwe ihr nachkam, bekam er sie nicht zu fassen. Schnüffelnd durchsuchte er den Wald und ging schließlich wieder zurück.

So kam sie denn von der Tanne herunter und ging weiter. Sie ging weiter, bis sie zu dem Teufel ("Schlechten") kam, und blieb zur Nacht dort. Der Teufel hatte eine hübsche Tochter zu Hause, die empfing sie freundlich. Aber es war nicht viel Zeit übrig, bis auch der alte Teufel nach Hause kam. Er rief schon von weitem:

"Sonnen-Tochter, öffne die Pforte!

Annuschka, mach auf!

Ochsenmist erblüht,

Kuhmist zerfällt!"

Da lief ihm denn auch seine Tochter entgegen und ließ den alten Teufel hinein. Als er ins Zimmer kam, sagte er sofort: "Was ist hier für ein fremder Geruch, wer ist hier?" Da sagte die Tochter: "Es ist niemand hier, in einem fremden Land wird nur ein Schwein gesengt." Aber er glaubte nichts davon, er fing an, im Zimmer herumzugehen und zu suchen. Aber er fand nichts: seht, seine Tochter hatte ihre Besucherin gut unter einem eisernen Trog versteckt. So ging der alte Teufel wohl an dem Trog vorbei, aber schaute überhaupt nicht darunter. Da ließ er schließlich vom Suchen ab und legte sich schlafen. Da ging denn wiederum seine Tochter hin, hob den Trogdeckel auf und sagte: "Sieh, wir wollen jetzt auf die Flucht gehen; wenn er nun aufsteht, dann ist guter Rat teuer. Besser gehe auch ich auf die Flucht, sonst greift die alte Hitze auch mich wieder an."

So gingen sie denn fort. Auf dem Weg begann die Schwester nachzudenken: "Wohin sollen wir gehen?" Dann sagte sie: "Warte, mein Bruder braucht eine Frau, warte mal, ich bringe dich zu meinem Bruder als seine Frau, willst du kommen?" Die andere fragte wieder: "Warum sollt ich denn nicht kommen?" Da gingen sie denn zu dem Haus des Bruders, und die Schwester sagte zu ihrem Bruder: "Paßt dir diese zur Frau?" Da nahm der Bruder sie denn auch richtig zur Frau, aber auf die Schwester war er sehr böse, daß sie von ihm geflüchtet war. Da sperrte er die Schwester wieder in der selbstgemachten Hütte ein. Aber die Schwägerin heizte noch die Sauna und rief die Schwester auch zum Bad und sang: "Das Bad ist durch Kerzen geheizt / die Birkenquäste durch Würze aufgebläht." Aber niemand ging hin. Als sie zum Haus kam, war niemand mehr im Zimmer, bloß Beerentrauben wuchsen auf dem Dachboden. Da erschrak auch sie sehr, sie fing an sich zu fürchten und verwandelte sich auch in eine Beerentraube.

Als dann der jüngste Bruder nach Hause kam, sah er die hübschen Beeren und pflückte sie vom Dachboden ab. Er legte sie in ein Tuch, aber dann hörte er, daß die Beeren dort im Tuch Laute von sich gaben, Er konnte das nicht mit anhören, ging zu einer Zauberin. Da hörte diese es auch, daß die Beeren Menschenstimmen von sich gaben. Da lehrte ihn die Zauberin: "Gehe mit diesen Beeren drei Donnerstagabende auf den Kreuzweg und schaukele sie!" Er tat auch nach ihren Worten, und dann wurde aus den Beeren wieder seine Schwester. Sie sagte: "Sieh, der andere Bruder hat mich dort im Haus eingesperrt, damit ich dort verende. Aber seine eigene Frau, die auch vor dem Teufel geflohen war, sieh, sie war sündiger als ich, darum konnte sie die Menschengestalt nicht zurückbekommen. Darum schmolz sie dahin und verendete. Aber ich hatte Glück, ich wurde wieder zum Menschen." Die Sache wurde dem mittleren Bruder auch bekannt. Er war auch wegen der Schwester sehr betrübt, weil er ihr viel Böses angetan hatte. Aber die Schwester war ihm gegenüber gut. So versöhnten sie sich und fingen danach an, noch schön zu leben, und das Märchen ist auch zu Ende.