134. "Der Mond im Nacken, die Sonne an der Stirn, der Leib voller Himmelssterne"

Einst lebten eine Mutter, ein Vater, ein Bruder und eine Schwester. Die Mutter ging mit dem Vater in die Kirche, auch der Bruder ging in die Kirche, die Schwester aber ging nicht in die Kirche. Da kam der Pope (bzw. Pfaffe) an das Fenster, um zu zanken. Die Schwester schloß die Tür und ließ den Popen nicht hinein. Der Pope sagte: "Wenn du am nächsten Sonntag auch nicht kommst, lasse ich dich töten." Es kam der nächste Sonntag. Wieder ging sie nicht. Wieder kam der Pope unter das Fenster, sagte: "Wenn du am dritten Sonntag auch nicht kommst, werde ich nicht mehr hierher kommen, um mit dir zu zanken. Ich lasse dich in den Wald führen und töten." Es kam der dritte Sonntag. Sie ging nicht. Der Pope sagte: "Bruder, geh nach Haus, bring die Schwester in den Wald und töte sie!" Der Bruder kam nach Haus, nahm die Schwester auf den Rücken, um sie in den Wald zu führen. Er nahm auch die Flinte mit, um die Schwester zu erschießen. Er kam in den Wald und sah einen Hasen laufen. Er legte die Schwester nieder, sagte: "Geh, wohin du willst!" Der Bruder schoß den Hasen nieder und brachte dem Popen die Leber und Lunge zum Essen. Der Pope sagte: "Eine Hure war sie, daher hat sie den Geschmack einer Hure."

Die Schwester ging und ging im Wald herum, bis ihre Kleider zerrissen waren und vom Leibe fielen. Es war Frühlingszeit; was sie fand, das aß sie im Wald. Sie kam aus dem Wald heraus. Da war so etwas wie ein kleiner See. Am Seestrand stand ein dürres Eichlein. Sie schaute sich um, sie konnte nirgendwo hingehen – sie war doch nackt, so kletterte sie auf die Eiche. Vorher war das Eichlein dürr gewesen, nun aber fing die Eiche an zu wachsen. Es kommt der Königssohn auf die Jagd. Er sieht: es war da früher ein dürres Eichlein, aber was Wunder ist nun geschehen, daß die Eiche zu wachsen begonnen hat? Der Königssohn sah hinauf und sah, daß ein Mensch dort oben war. Der Königssohn sagte: "Komm herunter, wer bist du?" Sie sagte: "Ich kann nicht herunterkommen, ich habe nur ganz zerrissene Kleider an." Der Königssohn sagte: "Ich gehe und hole von Zuhause Kleider, dann kommst du herunter." Der Königssohn ging nach Hause, brachte ihr Kleider. Sie kam herunter. Der Königssohn selbst ging etwas weiter davon und sie zog die Kleider an. Da kam der Königssohn wieder und fragte: "Wer bist du? Wie kamst du hierher?" Sie erzählte, wer sie sei und wie sie dorthin gekommen sei. Sie sagte zu dem Königssohn: "Ich habe niemanden, zu dem ich gehen könnte." Der Königssohn sagte: "Komm zu uns auf die Weide, wir brauchen gerade eine Hirtin."

Drei Jahre lebte sie dort auf der Weide als Hirtin. Der Königssohn schickte sich an, zu heiraten. Es kamen auch zwei andere Mädchen dorthin. Die eine sagte: "Nimm mich: ich füttere mit einer Kornähre das ganze Königsheer!" Die andere sagte: "Nimm mich: ich kleide mit einer einzigen Flachsfaser das ganze Königsheer!" Die dritte, die Hirtin, kam und sagte: "Nimm mich, ich werde neun Söhne haben, und jeder hat den Mond auf dem Nacken, die Sonne an der Stirn und den Leib voller Himmelssterne!" Da nahm der Königssohn sie zur Frau, denn Brot und Kleidung werden ja sowieso gemacht.

Er lebte das Jahr über gut mit der Frau zusammen. Nach diesem einen Jahr begann der Krieg. Der Königssohn ging in den Krieg. Seine Frau bekam zu Hause von ihm einen Sohn, der den Mond im Nacken, die Sonne an der Stirn, den Leib voller Himmelssterne hatte. Sie war mit dem Kind im Zimmer, hatte niemanden, den sie als Boten zu dem Mann hätte schicken können. Die anderen mochten sie nicht. Sie wollte hinausgehen, vielleicht fliegt da ein Vöglein, selbst dieses könnte die Botschaft in den Krieg bringen. Sie ging hinaus, sich umzuschauen; ein Rabe kam geflogen. Sie sagte: "Lieber Rabe, bring eine Botschaft in den Krieg, daß ein Sohn geboren wurde, der den Mond im Nacken, die Sonne auf der Stirn und den Leib voller Himmelssterne hat." Der Rabe flog über das Heer. Mit seiner Kehle machte er "krunks-krunks" und fragte: "Wer hat eine Frau, die einen Sohn bekam, der den Mond im Nacken, die Sonne auf der Stirn, den Leib voller Himmelssterne hat?" Das hörte der Königssohn: "Nun muß ich nach Hause, ich habe wohl eine solche Frau."

Dort im Königshaus, am anderen Ende, wohnten so etwas wie alte Teufel oder wer weiß, was sie waren. Die Frau ging ins Zimmer und sah: ein Hündchen geht durch das Zimmer, die Pfropfen des Eckfensters am Hals, der Sohn aber ist fort. Es kommt der Königssohn nach Hause, um nachzusehen. Er kommt ins Zimmer: das Hündchen geht durchs Zimmer. Die anderen (=Teufel) sagen: "Sieh! Da hast du nun deinen Sohn! Sieh, was das für einer ist!" Der Königssohn wurde zornig: "Eine Hure warst du, eine Hure wirst du bleiben!" Er ging wieder zurück in den Krieg.

Ein Jahr lebte sie wieder ebenso weiter. Es wurde der zweite Sohn geboren, auch er hatte den Mond im Nacken, die Sonne an der Stirn, den Leib voller Himmelssterne. Wieder schaute sie hinaus: sie durfte doch nicht selbst weggehen, um die Botschaft in den Krieg zu bringen. Sie hütete das Söhnlein einen Tag, den anderen Tag, aber man muß doch auch hinausgehen. Sie ging hinaus und sah sich um, ein Rabe fliegt. "Lieber Rabe, bring doch die Botschaft in den Krieg, daß ein Sohn geboren wurde, der den Mond im Nacken, die Sonne an der Stirn, den Leib voller Himmelssterne hat." Der Rabe flog über das Heer. Wieder machte er "krunks-krunks" und fragte: "Wer hat eine Frau, die einen Sohn bekam, den Mond im Nacken, die Sonne an der Stirn, den ganzen Leib voller Himmelssterne?" Der Königssohn hörte das: "Ich hatte wohl eine solche Frau, ich muß nach Hause gehen, um nachzusehen, ob es richtig oder falsch ist. Das erste Mal war es wohl falsch, aber nun weiß man ja nicht." Er kam nach Hause, ging ins Zimmer und sah: das Hunde-Hündchen geht durchs Zimmer, die Pfropfen des Eckfensters am Hals. Die anderen (=Teufel) wieder: "Sieh, was für eine Frau du hast! Sie bringt dir Hunde-Hündchen!" Der Königssohn spuckte aus: "Jetzt werde ich nicht mehr nach Hause kommen!"

Dann lebte sie wieder ein Jährchen dahin. Sie bekam einen dritten Sohn, der ebenso den Mond im Nacken, die Sonne an der Stirn, den ganzen Leib voller Himmelssterne hatte. Wieder ging sie hinaus: Wer sollte die Botschaft in den Krieg bringen? Wieder sagte sie zu dem Raben: "Bring du doch die Botschaft, daß wieder ein Sohn geboren wurde, der den Mond im Nacken, die Sonne an der Stirn, den ganzen Leib voller Himmelssterne hat! Kommt er nun heim oder kommt er nicht heim, aber die Botschaft muß gebracht und verkündet werden." Der Rabe brachte dem Mann wieder die Botschaft. Die Zeit des Königssohns war um, er sagte: "Ich würde wohl nicht nach Hause gehen, aber die Zeit ist um, ich muß nun gehen!" Er ging nach Hause und sah: schon geht das dritte Hündchen durchs Zimmer! Drei Söhne waren schon fortgekommen. Da sagte er der Frau: "Zieh dich an und gehe aus dem Haus, du bist kein richtiger Mensch." Sie hetzten ihn wieder auf jede Weise, die anderen (=Teufel).

Sie zog die Kleider einer armen Bettlerin an, ging hinaus. Wohin konnte sie gehen? Betteln mußte sie gehen! Nahm ein Stöckchen in die Hand, ging so den See entlang. Sie sah: auf dem See schwimmt ein Fäßchen. Schau, was für ein Büttchen da herumschwimmt, muß man nachsehen. Sie schlug mit dem Stöckchen an das Büttchen, ihre Söhne waren im Büttchen. Der eine Sohn wimmerte: "Schlag noch einmal, Mama, noch einmal!" Der andere wimmerte ebenso: "Schlag noch ein Mal("chen")!" Übrigblieb der dritte: "Schlag noch einmal!" Da brach das Fäßchen auf dem Meer auseinander, alle Söhnchen kamen auf den Brettchen heraus. Sie zog sie mit dem Stöckchen heran, hob sie von den Brettchen ab. Sie nahm sie mit, aber wohin nun mit ihnen? Die Söhnchen waren so hübsch, daß man sie dem Volk gar nicht zeigen konnte! Am Rande des Sees lag ein verfallenes Badestüblein: "Ich bringe die Söhnlein in das Badestüblein."

Sie zog die Söhnlein auf. Ging selbst die ganze Zeit betteln. Keiner wußte, daß sie dort waren. Sie ging und ging betteln, ging auch zu dem Königssohn, wo die alten Teufel bei dem Königssohn lebten. Da gab man ihr einen kleinen Bissen Brot: man wußte nicht, daß die Arme eben diese Arme war. Aber dann ging sie zu den alten Teufeln, dort erkannte man, daß sie nämlich diese Frau war. Sie schnitten einen halben Laib Brot für sie: "Bettlerin, bettelarme, wir geben dir einen halben Laib Brot." Die Bettlerin dankte und ging aus dem Haus.

Die ganze Zeit erzog und pflegte sie ihre Kinder, bis die Söhnlein groß wurden. Da fingen sie an, die Mutter zu bitten: "Laß uns die Welt ansehen, wir sind schon recht groß." Die Mutter ließ sie auch gehen. Sie kamen auf eine Insel im Meer. In der Nacht kam der eine nach Hause und brachte eine städtische Herberge (ein Schloß) heim. Der andere brachte einen Apfelgarten, am Gartenrand Pflaumenbäume und Nußbäume; das Eichhorn sitzt auf dem Ast und ißt Nüsse. Der dritte brachte eine goldene Sau mit silbernen Jungen mit, mit zwölf Jungen. Die Nase vorn pflügt die Sau, mit dem Schwanz hinten eggt sie, die Jungen wiederum säen; Gottes Korn wächst überall, daß es nur so glänzt. In der Nacht kamen sie, stellten alles an den Strand des Sees, wo das alte Badstübchen war.

Der Königssohn stand am Morgen auf und schaute: Was Wunder ist da aufgestellt? Er nahm die Flinte und ging dorthin wie auf die Jagd, um sich alles näher anzusehen. Geht umher und schaut, was das wohl sein mag. Er sah sich alles an: das Eichhorn und die Äpfel, die Beeren, die goldene Sau; wieder pflügt sie, die Jungen hinten säen. Er sah sich alles an, aber hinein traute er nicht zu gehen: Was sollte das bedeuten? Wer kann sagen, wie das alles dorthin geraten war? Die alten Drecke (=Teufel) witterten schon Unrat: "Vielleicht sind die schon da, die wir verjagt haben?" Sie sagten zu dem Königssohn: "Das ist nur der Schönheit wegen aufgestellt, das alles wird wieder verschwinden." Der Königssohn glaubte es aber nicht, rief schon alle Weisen und sein Kriegsheer zusammen: "Wer kann sagen, weshalb das alles dort ist?" Keiner wußte es zu sagen.

Kam das Bettelweibchen auch zu ihnen. Kletterte auf die Ofenbank, saß dort. Der Königssohn ging hin: "Vielleicht kannst du es sagen?" "Och, ich weiß es doch nicht! Ich kam nur, um nachzusehen, was das Volk hier wohl tut." Er sagte: "Komm, komm herunter!" "Ich habe ja schlechte Kleider an, ich weiß nichts." Der Königssohn aber befahl, daß sie zu den Hoheiten käme. Sie sagte: "Hol mir zwei Schachteln voll Nüsse!" Der Königssohn brachte ihr zwei Schachteln voll Nüsse. Sie begann die Nüsse aus einer Schachtel in die andere zu sammeln und erzählte dabei: "Es lebten Vater und Mutter, zwei Nüsse in die Schachtel, Bruder und Schwester, zwei Nüsse in die Schachtel! Die Mutter mit dem Vater und der Bruder gingen in die Kirche, zwei Nüsse in die Schachtel, die Schwester ging nicht, zwei Nüsse in die Schachtel!"

So erzählte sie von Anfang an von ihrem Leben, die ganze Zeit über, "zwei Nüsse in die Schachtel!" Da erkannte der Königssohn, daß es seine Frau und seine Söhne waren. Er nahm die Frau und die Söhne zu sich. Die Frau des alten Schlechten (=des Teufels) band er an den Schwanz des schorfigen Pferdes, ließ sie durch die Welt treiben. So lange wurde sie getrieben, bis es allen überdrüssig wurde. Nur den blauen Stein, den hellen Himmel und den Kern des Nußbaums traf sie nicht an. Wenn du jemals auf der Nachthütung oder im Wald jodelst, jodeln sie dir entgegen.