132. Der faule Johannes

Bei einer Königsstadt lebte eine Häuslerfamilie. Es wohnten dort drei Brüder. Die zwei älteren Brüder waren bei vollem Verstand und in Ordnung, aber der jüngste Bruder war ein bißchen einfältig und faul. Ihn rief man deswegen fauler Joan (Johannes). Er mußte das Wasser aus dem Brunnen holen, das war sein Amt, denn er verstand keine andere Arbeit. Einmal gingen die älteren Brüder weg vom Haus und sagten Joan vorher: "Warte nur, Joan! Hol immer ordentlich Wasser aus dem Brunnen, soviel es zu Hause nötig ist. Wenn du gehorsam bist, bringen wir dir auch hübsche rote Hosen und eine rote Jacke mit; wenn du aber widerspenstig bist, gibt es keinen Spaß."

Na gut! Die Brüder gingen aus dem Haus. Joan mußte Wasser schleppen. Wohl war es ihm manchmal zuwider, vom warmen Ofen herunterzuklettern und zum Brunnen zu gehen. Aber was kann er tun? Wenn er sich dagegen wehrte, sagte das übrige Hausvolk: "Joan! Joan! Wir werden es den Brüdern klagen! Wo bleiben dann deine roten Hosen und deine Jacke?" Also mußte Joan wieder gehen. So ging er eines Tages, über sein Leben nörgelnd, zum Brunnen. Er zog einen Eimer voll Wasser herauf und sah im Eimer einen schönen Hecht. Der Hecht fing an, Joan mit Menschenstimme zu bitten: "Lieber Joan! Laß mich los! Alles, was dein Herz auch nur begehrt, will ich dir geben." Joan erschrak zuerst, faßte dann Mut und sagte ganz grob: "Na! Na! Das möchte ich erst mal sehen!" "Ja!" sagte der Hecht, "alles kannst du kriegen, wenn du bloß diese Worte sagst: Durch Hechtes Zunge, durch Hechtes Sinn, der Hecht dem lieben Gott! Dann kriegst du alles." Joan warf den Hecht in den Brunnen zurück und dachte vor sich: "Es ist doch wohl nichts so verrückt, daß man mit diesen Worten alles kriegen kann. Dann hätte ich es ja überhaupt nicht nötig, die Wassereimer auf dem Rücken zu schleppen. Durch Hechtes Zunge, durch Hechtes Sinn, der Hecht dem lieben Gott! Dann könnte ich sie doch mit dem Stocke vor mir herjagen!" Die Wassereimer fingen sofort an, sich nach Hause zu bewegen. Joan ging hinterher, den Stock gerade in der Hand tragend. Sein Brunnenweg ging am Königsschloß vorbei. Die Königstochter saß an einem offenen Fenster. Sie sah Joan und sagte verwundert: "Seht nur, seht! Unser Bekannter, der faule Joan, humpelt jeden Tag hier vorbei, die Wassereimer auf dem Rücken, jetzt jagt er sie mit dem Stock vor sich her!" Joan hörte das und dachte: "Durch Hechtes Zunge, durch Hechtes Sinn, der Hecht dem lieben Gott! Möchte doch die Königstochter einen Sohn gebären!"

Nach einiger Zeit gebar die Königstochter auch einen Sohn. Der wuchs sehr geschwind, nach einigen Tagen fing er an, seine Beine zu bewegen und zu sprechen. Der König wollte wissen, wer wohl der Vater des Sohnes sein möge. Deshalb lud er alle Männer seines Königreichs ein. Dem Knaben wurde ein Apfel gegeben und ihm wurde befohlen, den Apfel seinem Vater zu geben. Alle Männer im Königreich kamen zusammen, aber keinem von ihnen gab der Knabe den Apfel. Der König fragte nach, ob noch jemand zu Hause geblieben sei. Die Brüder des faulen Joan sagten, daß bei ihnen noch ein Bruder, ein Tunichtsgut, zu Hause auf dem Ofen schliefe, der sei wohl kaum der Vater des Sohnes der Königstochter. Der König schickte einen Boten nach Joan. "O, wenn ich doch nicht gehen müßte!" ächzte Joan auf dem Ofen, "aber durch Hechtes Zunge, durch Hechtes Sinn, der Hecht dem lieben Gott! Ich werde wohl doch gehen!" Und er ging mit dem ganzen Ofen. Die Treppen des Königsschlosses empor, herein in den Thronsaal des Königs ging der Ofen und blieb vor dem Thron stehen. Die Leiter stand wie zuvor am Ofen. Der Knabe stieg die Leiter empor zu Joan und, die Hand ausgestreckt, rief er: "Nimm, Vater, ich gebe dir den Apfel!" Das Herz des Königs wurde schrecklich voll von Wut: "Ach so, solch ein Krat ist der Mann meiner Tochter!" sagte er wütend, "wartet nur, ich werde es euch beiden schon zeigen!" Er ließ Joan, seine Tochter und den Knaben in ein großes Faß stecken. Das Faß wurde ins Meer geworfen.

Joan sah ein, daß das Leben im Faß eng sein wird. Deshalb wünschte er sich, als das Faß schon auf offenem Meer war, mit den Worten des Hechtes eine sehr nette Insel im Meer. Auf dieser Insel war eine sehr prächtige Stadt, die strahlte von Silber und Gold und blinkte zwischen den stolzen Rosengärten. Überhaupt war diese Insel wie ein Paradies. In den Wäldern wuchsen prächtige Bäume, zwischen den Wäldern grünten Wiesen, auf denen Blumen dufteten. Wenn das Meer still war, spiegelten sich hohe grüne Felsen im Wasser wie in einem Spiegel. Die ganze Insel wimmelte von schönen Singvögeln. Und auf dieser Insel wurde der faule Joan König.

Diese Insel wurde nun vom Lande beobachtet, und man unterrichtete den König davon. Der König schickte seine Gesandten, die Insel zu besichtigen. Die Gesandten brachten die Nachricht, daß es eine sehr schöne Insel sei, und daß der faule Joan dort König sei. Nun paßte es dem König wohl, Freundschaft mit dem faulen Joan zu schließen. Er schickte Joan viele Tausend Grüße und sagte, daß er zu ihm zu Gast kommen wolle. Joan hatte auch nichts dagegen. Er wünschte sich mit den Worten des Hechts eine sehr stolze Brücke zwischen dem festen Land und der Insel. Über diese Brücke fuhr der König auf die Insel. Joan war sehr freundlich zu dem König, aber in seinem Herzen hatte er einen geheimen Zorn. Einmal spazierte er mit dem König im Garten. Joan dachte: "Warte, warte! Ich will dir einen Schabernack spielen!" Er sagte zu dem König: "Die Bäume und Rosen in diesem schönen Garten darfst du wohl betrachten, aber hüte dich, daß du Äpfel nimmst!" Selbst aber wünschte er mit den Worten des Hechts einen Apfel in die Tasche des Königs. Als sie aus dem Garten kamen, ließ Joan die Taschen des Königs durchsuchen, und der Apfel wurde in der Tasche des Königs gefunden. Dem König schien das sehr wunderlich. Joan aber grinste darüber. Es war dann nichts zu machen.

Als der König wegfuhr und mitten auf der Brücke war, dachte Joan: "Du bist noch lange nicht mir entkommen!" Er wünschte die Brücke weg, und der König ertrank im Meer. Nun bekam Joan sein Königreich zu eigen und soll noch heute leben.