13. Des Wolfes Sündenregister

Gevatter Wolf ("Schrammauge", Isegrim) sei einmal sieben Tage lang ohne Fressen gewesen. Wegen seines großen Hungers habe er sich sehr nahe an ein Haus gewagt, wo ein Schwein im Garten die Ferkel gesäugt habe. Der Wolf sagte: "Komm nur jetzt zu mir als Mittagessen, teurer Gevatter. Ich bin sieben Tage der Reihe nach ohne Fressen geblieben; der Hunger will mich schon töten!" Das Schwein antwortete: "Ich selbst werde wohl nicht kommen; aber wenn du gerade willst, kannst du die Ferkel haben." Der Wolf erwiderte sofort: "Na, sei so gut, gib mir immerhin diese!" Das Schwein dagegen: "Was wirst du von ihnen haben? Laß mich nach Hause gehen, ich werde ihre Bäuche dort recht voll säugen; dann wirst du schon etwas davon haben." Der Wolf sei damit zufrieden gewesen. Er sei in den Wald zurück und das Schwein mit den Ferkeln nach Haus gegangen. Es habe gedacht: "Es tut mir leid, die Ferkel fortzugeben!" und es beschloß, dem Wolf die Ferkel nicht zu geben.

Dem Wolf wurde die Zeit im Wald zu langweilig. Er kam hinter den Zaun des Gesindes. Die Gans schlenderte im Gesindegarten umher. Der Wolf sagte: "Guten Tag, guten Tag, Watschelfuß!" Die Gans entgegnete: "Gotteswunder, Trägefuß!" Wieder der Wolf: "Ist euer Schnäuzling (=Hund) auch zu Haus? Bring der Wolle (=dem Schaf) eine Botschaft, laß die Runzel (=das Schwein) herauskommen: der Onkel streift auf den Straßen umher, Gevatter lauert auf der Wiese!" Die Gans dagegen: "Das Hündchen ging mit den Männern zusammen in den Wald." Der Hauswirt und der Knecht waren in den Wald Heu holen gegangen, der Hund war bei ihnen. Der Wolf habe der Gans befohlen, das Schwein zu sich zu rufen, um die Ferkel zu verlangen. Das Schwein aber habe die Mitteilung geschickt, daß es die Ferkel noch säuge. Es habe dem Wolf geraten, noch weiter im Wald herumzustreifen.

Der Wolf sei auch gegangen. Plötzlich aber seien ihm der Hauswirt und der Knecht mit dem Heufuder entgegengekommen. Der Hund, der mit ihnen gewesen sei, sei ihm an den Nacken gesprungen. Die Männer hätten keine Knüttel zur Hand gehabt, deshalb habe der Wolf sich noch mit halber Seele fortretten können. Er habe noch die letzte Kraft zusammengesammelt und sei gelaufen, was die Beine nur hergegeben hätten. Die Jäger des Gesindes aber hätten im Wald Fanglöcher angelegt, und der Wolf sei mit großem Schwung in ein solches Fangloch gelaufen.

Am nächsten Tage sei der Jäger gekommen, um nachzusehen, ob er Beute hat: der Wolf (ist) in der Falle! Er habe ihn herausgezogen und habe ihn zu gerben begonnen. Die Frauen des Gesindes seien alle zusammengelaufen, die eine mit einem Dolch, die andere mit einem Messer, die dritte mit einer Gabel, die vierte mit einer Forke usw. in der Hand. Die eine habe gesagt: "Wessen Hund hat er mir auf das Fell gehetzt?" Die andere: "Wessen Füllen hat er fortgeschleppt?" Jedermann begann nun das Fell des armen Wolfes zu durchstechen. Sie hätten ihn auch gefragt: "Wann hast du zuletzt gegessen?" Der Wolf habe geantwortet: "Vor sieben Tagen habe ich das Hündchen aus Oru gefressen." Dann sei er gezwungen worden aufzuzählen, was alles er gefressen habe. Er habe aufgezählt: "Fünfzig Bogennasen (=Schweine), sechzig Klumpenfüße (=Pferde), hundert Gehörnte (=Rinder), dreihundert Schnäuzlinge (=Hunde)!" Schließlich wurde diesem Männchen die Seele ausgelassen.