108. Die Erzählung von einem Mönch, dem ein Vöglein sang

Einmal sei ein Mönch aus dem Kloster hinaus im Gebüsch spazieren gegangen. Er habe im Wald die Bäume und Blumen bewundert, weil er sie zum erstenmal gesehen habe und habe sich gefragt: "O, wann kommt der jüngste Tag, es ist der Seele langweilig zu warten!" Gerade zur gleichen Zeit habe er dort im Gebüsch den Gesang eines Vogels gehört. Dieser Gesang habe ihm sehr süß gedünkt, weil er ihn früher nie gehört habe. Er habe noch Lust gehabt, ihm zuzuhören, jedoch habe die Zeit es nicht mehr erlaubt, da er auf die Stunde genau zu Hause sein mußte. Er hört noch ein bißchen zu, dann muß er schnell nach Hause gehen. Aber siehe ein Wunder! Als er ins Kloster kommt, erkennt er weder das Kloster noch irgendeinen Menschen. Er fragt nach dem Abt, und als dieser kommt, erkennt er ihn nicht mehr. Da fragt er den Abt, was das bedeuten soll, daß er weder ihn noch das Kloster noch einen Menschen erkennt. Der Abt fragt ihn: "Wie ist dein Name?" Er sagt seinen Namen. Der Abt kennt seinen Namen nicht. Er erklärt dem Abt, daß er für kurze Zeit im Gebüsch spazierengegangen sei, nun, wo er zurückkomme, erkenne er niemanden mehr und das Kloster auch nicht. Der Abt sucht im Buch nach seinem Namen, findet ihn dort jedoch auch nicht. Dann fragt er ihn: "Welchen König haben wir?" Er sagt einen vollkommen fremden Namen, den niemand kennt. Da beginnt der Abt die alten Klosterbücher durchzusehen und findet seinen Namen, daß er einmal Mönch gewesen ist, und sagt: "Lieber Freund, es sind dreihundert Jahre her, daß du Mönch gewesen bist und daß dieser König lebte." Da rief der Abt alle Ältesten und Mönche zusammen, den Wundermann zu sehen: sein Bart und Haupt waren weiß wie Schnee. Dann habe der Abt ihn gefragt: "Was wünschst du nun?" Er habe geantwortet: "Ich wünsche nichts anderes als Gottes Gnade (d. h. das Abendmahl)." Ihm sei das Abendmahl gegeben worden. Als er das entgegengenommen habe, sei nichts als eine Handvoll Staub von ihm zurückgeblieben,