103. Wie Aimu Andres die Königstöchter aus der Hölle holte

Aimu Andres arbeitete bei einem Bauern. Als Jahreslohn bekam er eine halbe Kopeke Geld und eine Kanne Bier. Als er ein Jahr gearbeitet hatte, nahm er seinen Lohn: das Bier trank er aus, aber das Geld steckte er in die Tasche, schlug mit der Hand auf die Tasche und sagte: "Endlich hat man Geld!" Aber Andres merkte gleich, daß das Geld in der Tasche nicht klimperte und suchte Rat, wie er dem abhelfen könnte, hieß doch Andres nicht ohne Grund Aimu (=Ahnung, Verständnis), der immer einen guten Rat zu finden verstand. "Es ist besser, ich arbeite noch ein zweites Jahr", sagte er fest beschlossen, "ich bekomme wieder einen tüchtigen Schluck Bier und eine halbe Kopeke Geld, die beiden werden dann schön zusammen in der Tasche klimpern."

Andres diente noch ein zweites Jahr und bekam den genannten Lohn. Als er dann mit der Hand auf die Tasche schlug, klimperte das Geld in der Tasche. "So, jetzt kann ich auf die Reise gehen!" sagte er, wie es sich für einen reichen Mann gehört, und - gesagt, getan. Als er auf seiner Reise an einen Fluß kam, sah Andres, wie ein Mann drei Katzen prügelte. Andres' Herz wurde weich, und er sagte zu dem Mann: "Weshalb prügelst du die Katzen, verkauf sie lieber!" "Wieviel gibst du mir?" fragte der Mann. "Den ganzen Lohn von zwei Jahren!" Der Mann war einverstanden, Andres gab dem Mann zwei Halbkopekenstücke, nahm die Katzen und ging in einen Krug übernachten. Dort im Krug verkehrten alle möglichen Leute, deren Sprache der Krüger nicht verstand und dadurch in große Verlegenheit geriet. Andres' Katzen wiederum waren Sprachkenner, die alle Sprachen der Welt kannten und an diesem Abend alle Geschichten der Gäste erklärten, wofür der Krüger Andres am Abend zu essen und Bier zu trinken gab. Auch die Katzen bekamen ihren Teil.

Der Krüger hatte drei Hunde, den Seher, den Riecher und den Reißer, die er Andres zu geben versprach, wenn er ihm seine Katzen gäbe. Andres war damit einverstanden. Der Krüger gab Andres außerdem noch eine Kanne Bier und eine Pfeife und sagte zu Andres: "Wenn du auf der Pfeife bläst, kommen die Hunde sofort zu dir, auch wenn sie am Ende der Welt sind."

Andres ging geradeswegs in die Stadt des Königs. Der König hatte einen großen Trauertag, darum durfte keiner in die Stadt fahren oder lärmen. Andres aber setzte sich auf den Reißer und ging, die Pfeife blasend, am Fenster des Königs vorüber. Der König sah ihn und donnerte: "Wie darfst du mit deinen Hunden an meinem Fenster vorüberfahren und selbst die Pfeife blasen? Weißt du nicht, daß es verboten ist?" "Ich fürchte weder den König noch den Teufel", erwiderte Andres. "Ach so! Dann geh und hol meine Töchter aus der Hölle, du bekommst drei Fässer Gold zum Lohn oder verlierst deinen Kopf."

Andres war damit gleich einverstanden. Er ging in die erste Hölle, der Teufel war nicht zu Hause. Die Königstochter saß am Fenster und nähte. Andres grüßte. "Guten Tag, guten Tag, Christenmensch! Woher bist du gekommen? Wir werden heute den gleichen Tod sterben", sagte die Königstochter. "Fürchte dich nicht, ich werde mich verteidigen und dich auch", erwiderte Andres. Nach einiger Zeit sagte Andres zu dem Seher: "Sieh, ob er schon kommt!" "Er kommt schon von weitem", antwortete der Seher. "Riech: gut oder schlecht?" befahl Andres dem Riecher. "Ganz gut", erwiderte der Riecher. "Sieh, ob er in der Nähe ist!" sagte Andres zum zweitenmal zu dem Seher. "Er ist noch weit." "Riech: gut oder schlecht?" befahl er dem Riecher. "Mittelmäßig." "Sieh nun, ob er in der Nähe ist!" "Beinah hier!" "Riech: gut oder schlecht?" "Ganz schlecht!" "Zerreiß ihn!" befahl Andres dem Reißer. Und sogleich war der Teufel zerrissen und eine Tochter gerettet.

Andres ging in die zweite Hölle, der Teufel war nicht zu Hause. Die Königstochter saß am Fenster und nähte. Andres grüßte. "Guten Tag, guten Tag, Christenmensch! Woher bist du gekommen? Wir werden heute den gleichen Tod sterben", sagte die Königstochter. "Fürchte dich nicht, ich werde mich verteidigen und dich auch", erwiderte Andres. Nach einiger Zeit sagte Andres zu dem Seher: "Sieh, ob er schon kommt!" "Er kommt von weitem", antwortete der Seher. "Riech: gut oder schlecht?" befahl Andres dem Riecher. "Ganz gut", erwiderte der Riecher. "Sieh, ob er in der Nähe ist!" sagte Andres zum zweitenmal zu dem Seher. "Er ist noch weit." "Riech: gut oder schlecht?" befahl er dem Riecher. "Mittelmäßig." "Sieh nun, ob er in der Nähe ist!" "Beinah hier!" "Riech: gut oder schlecht?" "Ganz schlecht!" "Zerreiß ihn!" befahl Andres dem Reißer. Und sogleich war der Teufel zerrissen und eine Tocher gerettet.

Andres ging in die dritte Hölle, der Teufel war nicht zu Hause. Die Königstochter saß am Fenster und nähte. Andres grüßte. "Guten Tag, guten Tag, Christenmensch! Woher bist du gekommen? Wir werden heute den gleichen Tod sterben", sagte die Königstochter. "Fürchte dich nicht, ich werde mich verteidigen und dich auch", erwiderte Andres. Nach einiger Zeit sagte Andres zu dem Seher: "Sieh, ob er schon kommt!" "Er kommt von weitem", erwiderte der Seher. "Riech: gut oder schlecht?" befahl Andres dem Riecher. "Ganz schlecht!" erwiderte der Riecher. "Sieh, ob er schon in der Nähe ist!" sagte Andres zum zweitenmal zu dem Seher. "Er ist noch weit." "Riech: gut oder schlecht?" "Mittelmäßig." "Sieh nun, ob er in der Nähe ist!" "Beinah hier!" "Riech: gut oder schlecht?" "Ganz gut!"

Der Teufel trat ein: "Guten Tag, guten Tag, Aimu Andres! Wie bist du hierher gekommen? Wie sind unsere Kinder doch dumm, verstehen einem Gast keinen Platz anzubieten!" Mit diesen Worten ging der Teufel in die Kammer, brachte Andres einen Stuhl und einen Krug Blut zum Trinken und fing an, sich mit ihm zu unterhalten: "Laß doch deine Hunde zu unseren Welfen! Junge Hunde, die wollen spielen", sagte der Teufel im Gespräch zu Andres. Andres ließ einen Hund hinaus, ihm wurden sechs Paar Ketten um den Hals geworfen. Die Männer unterhielten sich. "O, mein Hund kommt gar nicht zurück", sagte Andres nach einer Weile. "Ach, junge Hunde, die spielen; laß den zweiten gleichfalls los, die werden schon zusammen zurückkommen." Andres ließ auch den zweiten laufen, ihm wurden zwölf Paar Ketten um den Hals geworfen. Die Männer unterhielten sich. "O, meine Hunde kommen gar nicht zurück", sagte Andres wieder nach einer Weile. "Ach, junge Hunde, die spielen; laß auch den dritten los, der wird schon die anderen zurückholen." Andres ließ auch den dritten laufen, ihm wurden vierundzwanzig Paar Ketten um den Hals geworfen. Die Männer unterhielten sich. "O. meine Hunde kommen gar nicht zurück", sagte Andres wieder mitten im Gespräch. Der Teufel ging in die Kammer, holte ein russisches Beil und einen Block und sagte zu Andres: "Gib nun deinen Kopf her!"

Andres sah, daß es nichts mehr zu spaßen gab, und fragte: "Dürfte ich vorher noch ein Sterbelied spielen?" Der Teufel erlaubte es. Andres nahm die Pfeife und begann zu spielen. "Unser Herr ruft uns schon, wir müssen gehen!" sagten die Hunde und zerrissen ein Drittel der Ketten. "Gib schon deinen Kopf her!" drängte der Teufel. Andres bat um etwas Zeit, um noch ein zweites Lied zu spielen. "Unser Herr ruft uns schon, wir müssen gehen!" sagten die Hunde und zerrissen das zweite Drittel der Ketten. "Warum verschwendest du nur unnütz Zeit, gib schon deinen Kopf her!" drängte der Teufel. Andres bat noch ein drittes Lied spielen zu dürfen. "Unser Herr ruft uns schon, wir müssen gehen!" sagten die Hunde, zerrissen das letzte Drittel der Ketten und liefen in die Stube. "Zerreiß ihn!" befahl Andres. Der Reißer zerriß den Teufel.

Andres nahm noch aus der Hölle einen aus dem Fell von zwölf Hengsten zusammengenähten Dudelsack mit und ging mit den Königstöchtern davon. Der König war sehr froh, daß er seine Töchter wiederbekommen hatte: er zahlte Andres ohne Murren die versprochenen drei Fässer Gold und beförderte ihn noch zum Führer seines Heeres. Jetzt hatte Andres genügend Reichtum und Ruhm.

Die Töchter des Königs hatten jede einen Bräutigam: die eine einen Schneider, die zweite einen Schuster, die dritte einen Goldschmied. Der König wollte diese Männer durchaus nicht als Schwiegersöhne haben und dachte, wie er sie ins Verderben stürzen könnte. Da er aber keine Schuld an ihnen fand, versuchte er es mit List. Eines Abends rief er den Schneider zu sich und sagte zu ihm: "Daß du bis zum nächsten Morgen für meine Töchter neue festliche Kleider machst, die, ohne sie zu sehen und Maß zu nehmen, passen müssen! Kannst du das, bekommst du eine Tochter zur Frau, passen die Kleider aber nicht, mache ich dich um deinen Kopf kürzer und gebe dich den Hunden zum Fraß!"

Der Schneider ging traurig nach Hause, setzte sich auf die Treppe und fing an zu weinen. "Warum weinst du?" fragte Aimu Andres im Vorübergehen. "Ich bin ein Schneider, muß für die Königstöchter bis zum nächsten Morgen neue Kleider machen, die, ohne daß ich sie gesehen und Maß genommen hätte, passen müssen. Wenn ich das nicht kann, werde ich um meinen Kopf kürzer gemacht und vor die Hunde geworfen. Jetzt weine ich, weil mir niemand helfen kann. Wer aber bist du?" "Ich bin ein Schneidergeselle und suche Arbeit", antwortete Andres. "Dann sei so gut und hilf mir, wenn es geht; mitunter sagt man, daß der Geselle klüger sei als der Meister." "Schlachte einen Mastochsen: die eine Hälfte für mich, die andere für meine Hunde, dann sind die Kleider bis zum nächsten Morgen fertig", befahl Andres. Der Schneider führte Andres mit großer Freude in die Stube, gab ihm den Stoff und ging selbst den Ochsen schlachten. Andres aber warf den Stoff in den Ofen und verbrannte ihn. Der Schneider kam vom Schlachten des Ochsen, ging in die Stube, um zu sehen, ob die Arbeit des Gesellen schon fortgeschritten sei. Der Stoff war gar nicht mehr vorhanden. "Hab keine Angst", sagte Andres, "bis zum Morgen ist noch Zeit." Am Morgen ging Andres im Zimmer auf und ab und blies den aus der Hölle mitgebrachten Dudelsack. Der Schneider kam nachsehen, die neuen Kleider waren fertig. Sogleich nahm der Schneider die Kleider und ging, um sie den Töchtern des Königs anzupassen. Sie waren weder zu groß noch zu klein, sondern paßten genau.

Am nächsten Abend rief der König den Schuster zu sich und sagte: "Daß du bis zum nächsten Morgen für meine Töchter neue Schuhe machst, die, ohne sie zu sehen und Maß zu nehmen, passen müssen! Kannst du das, bekommst du eine Tochter zur Frau, passen die Schuhe aber nicht, mach' ich dich um deinen Kopf kürzer und gebe dich den Hunden zum Fraß." Der Schuster ging traurig nach Hause, setzte sich auf die Treppe und fing an zu weinen. "Warum weinst du?" fragte Aimu Andres im Vorübergehen. "Ich bin ein Schuster, muß für die Königstöchter bis zum nächsten Morgen Schuhe machen, die, ohne daß ich sie gesehen und Maß genommen hätte, passen müssen. Wenn ich das nicht kann, werde ich um meinen Kopf kürzer gemacht und vor die Hunde geworfen. Jetzt weine ich, weil mir niemand helfen kann. Wer aber bist du?" "Ich bin Schustergeselle und suche Arbeit", antwortete Andres. "Dann sei so gut und hilf mir, wenn es geht; mitunter sagt man, daß der Geselle klüger sei als der Meister." "Schlachte einen Mastochsen: die eine Hälfte für mich, die andere für meine Hunde, dann sind die Schuhe bis zum Morgen fertig", befahl Andres. Der Schuster führte Andres mit großer Freude in die Stube, gab ihm das Leder und ging selbst den Ochsen schlachten. Andres steckte das Leder in den Ofen und verbrannte es. Der Schuster kam vom Schlachten des Ochsen, ging in die Stube, um zu sehen, ob die Arbeit des Gesellen schon fortgeschritten sei. Das Leder war gar nicht mehr vorhanden. "Hab keine Angst", sagte Andres, "bis zum Morgen ist noch Zeit." Am Morgen ging Andres im Zimmer auf und ab und blies den aus der Hölle mitgebrachten Dudelsack. Der Schuster kam nachsehen, die neuen Schuhe waren fertig. Sogleich nahm der Schuster die Schuhe und ging, um sie den Töchtern des Königs anzupassen. Sie waren weder zu groß noch zu klein, sie paßten genau.

Am dritten Abend rief der König den Goldschmied zu sich und sagte: "Daß du bis zum nächsten Morgen für meine Töchter Goldkronen machst, die ohne sie zu sehen und Maß zu nehmen, passen müssen! Kannst du das, bekommst du eine Tochter zur Frau, passen die Kronen nicht, mach' ich dich um deinen Kopf kürzer und gebe dich den Hunden zum Fraß." Der Goldschmied ging traurig nach Hause, setzte sich auf die Treppe und fing an zu weinen. "Warum weinst du?" fragte Aimu Andres im Vorübergehen. "Ich bin ein Goldschmied, muß für die Königstöchter bis zum nächsten Morgen Goldkronen machen, die, ohne daß ich sie gesehen und Maß genommen hätte, passen müssen. Wenn ich das nicht kann, werde ich um meinen Kopf kürzer gemacht und vor die Hunde geworfen. Jetzt weine ich, weil mir niemand helfen kann. Wer aber bist du?" "Ich bin Goldschmiedgeselle und suche Arbeit", antwortete Andres. "Dann sei so gut und hilf mir, wenn es geht; mitunter sagt man, daß der Geselle klüger sei als der Meister." "Schlachte einen Mastochsen: die eine Hälfte für mich, die andere für meine Hunde, dann sind die Kronen bis zum nächsten Morgen fertig", bekräftigte Andres. Der Goldschmied führte Andres mit großer Freude in die Stube, gab ihm das Gold und ging selbst den Ochsen schlachten. Andres steckte aber das Gold in den Ofen und verbrannte es. Der Goldschmied kam vom Schlachten des Ochsen, ging in die Stube, um zu sehen, ob die Arbeit des Gesellen schon fortgeschritten sei. Das Gold war nicht mehr vorhanden. "Hab keine Angst", sagte Andres, "bis zum Morgen ist noch Zeit." Am Morgen ging Andres im Zimmer auf und ab und blies den aus der Hölle mitgebrachten Dudelsack. Der Goldschmied kam nachsehen, die Kronen waren fertig. Sogleich nahm der Goldschmied die Kronen und ging, um sie den Töchtern des Königs anzupassen. Sie waren weder zu groß noch zu klein, sondern paßten genau.

Jetzt machte der König die Männer zu seinen Schwiegersöhnen und hielt eine große und vornehme Hochzeit ab, wie sie noch niemand vorher gesehen hatte. Auch Andres nahm an der Hochzeit teil und spielte auf dem aus der Hölle mitgebrachten Dudelsack allerlei Weisen zum Tanz auf.