102. Die Höllenreise eines demütigen und eines hochmütigen Jünglings

Ein reicher Mann erwartete Gott zu Besuch. Er bedeckte den ganzen Weg mit einem Tuch. Aber Gott kam nicht, es kam nur ein Bettler, Nachtlager zu erbitten, das Säckchen am Hals. Natürlich wollte er ihn nicht aufnehmen: "Ich selber erwarte ja Gott zu Besuch." Er sagte: "So nimm mich doch unter die Bank in der Gesindestube, ich bin auch ganz krank und möchte dorthin, wo es warm ist." So nahm er ihn denn zur Nacht auf. In der Nacht flog ein Engel auf das Fenster der Gesindestube, um den Bettler zu fragen: "Dem reichen Mann ist ein Hammel geboren, wo sollen wir ihn einschreiben?" "Schreibt ihn dem Wolf zu!" Nach einer Weile flog wieder ein Engel auf das Fenster: "Dem armen Mann ist ein Sohn geboren, wo ist er einzuschreiben?" "Schreibt ihn zum Erben am Hab und Gut des reichen Mannes ein!" Die Knechte und Mägde schliefen auch in der Gesindestube. Am Morgen gingen sie in die Stube und erzählten dem reichen Mann, was sich in der Nacht zugetragen hatte: "Ein Engel kam aufs Fenster und erkundigte sich bei dem Bettler, wo der Hammel einzuschreiben sei, der dem reichen Mann geboren sei; er befahl, ihn dem Wolf zuzuschreiben. Dem armen Mann war ein Sohn geboren, der wurde dem reichen Mann als Erbe an Hab und Gut zugeschrieben. Am Morgen stand das Bettlerchen auf und ging seines Weges."

Der reiche Mann schaute nach: es war in der Nacht ein Hammel geboren worden. Seine Knechte und Mägde erzählten so, und er meinte: "Wart, wart, ich werde sehen, ob das richtig sein würde?" Er zog den Hammel auf, ließ ihn nicht auf die Weide, denn warum soll er dem Wolf zur Beute werden? Sie schlachteten den Hammel und machten Sülze aus ihm, damit man sieht, was aus ihm geworden war; er wurde also nicht dem Wolf zur Beute. Sie legten die Sülze zum Abkühlen in das andere Zimmer aufs Fenster. Das Wölfchen kam und fraß die Sülze auf. Ihm begann das Herz zu schmerzen: "Wenn er den Hammel auffraß, wird schließlich der Arme auch der Erbe von meinem Hab und Gut werden!" Er ging zu dem armen Mann: "Verkauf mir das Kind, ich werde es aufziehen und pflegen." Das arme Männchen war damit auch zufrieden: "Ich gebe es ab, ich habe doch keinen Platz für das Kind."

Er führte das Kindlein auf einen Schneehügel. Das Kindchen sagte: "Gottchen! Das Fröstchen tuckst und klirrt, ich armes Kind habe nur ein Hemdchen!" Gott warf ihm ein Pelzchen zu. Wieder sagte es: "Das Fröstchen tuckst und klirrt, ich armes Kind mit nackten Füßen!" Gott warf ihm Schühlein zu, Schühchen, Strümpfchen, alles was nötig war. Es sagte: "Das Fröstchen tuckst und klirrt, ich armes Kind mit bloßem Haupt!" Warf Gott ihm einen Hut zu. "Das Fröstchen tuckst und klirrt, ich armes Kind mit bloßen Händchen!" Warf Gott ihm auch schon Handschuhe hinab. Kam der Junge mit allem zurecht. Am Morgen sagte der reiche Mann: "Wollen wir nachschauen gehen, jetzt ist er wohl schon fertig. Werft ihn nun gleich fort!" Sie gingen nachschauen, das Knäblein saß wie eine Puppe auf dem Schneehügel. Da sah der reiche Mann, daß ihm auf diese Weise nicht beizukommen war, und er schickte das Knäblein in die Hölle Frauendaunen holen.

Er begab sich dorthin. Am Wegrand saß ein Weib, sie trug das Wasser von einem Brunnen in den anderen, selbst bis zum Hals naß. Sie sagte: "Wenn du dorthin kommst, dann sprich auch für mich, warum ich hierher gestellt worden bin?" Er sagte: "Wenn Gott mir hilft, dorthin zu kommen, werde ich schon für dich ebenso wie für mich sprechen." Er ging ein Stück weiter, da war ein Mann, der richtete einen Lattenzaun. "Wenn du dorthin kommst, sprich auch für mich, warum ich hierher gestellt worden bin?" Er sagte wiederum: "Wenn Gott mir hilft, dorthin zu kommen, werde ich schon für dich ebenso wie für mich sprechen." Stets sprach er kräftig den Gottesspruch. Er ging ein Stück weiter, da kam er in eine Stadt, in der alle Schlüssel verlorengegangen waren, man bekam in der Stadt nirgends etwas zu essen. In der Stadt fragte man das Knäblein: "Wohin gehst du?" "Ich gehe in die Hölle Frauendaunen holen." "Sprich auch für uns!" "Wenn Gott mir hilft, dorthin zu kommen, dann werde ich schon für euch ebenso wie auch für mich sprechen." Er ging ein Stück weiter, kam in eine andere Stadt, dort war das Wasser verschwunden. Alle gehen herum, könnte man wenigstens den Mund naß machen! Das Knäblein wurde gefragt: "Wohin gehst du?" "In die Hölle gehe ich, Frauendaunen holen." "Wenn du dorthin kommst, bitte auch für uns." "Wenn Gott mir dorthin hilft, werde ich sowohl für euch wie auch für mich bitten." Er ging wieder weiter, bis er an einen See kam, wo ein Fisch als Steg diente. Schon war ihm der ganze Rücken blutig gescheuert worden. Er fragte: "Wohin gehst du?" "Ich gehe in die Hölle Frauendaunen holen." Er sagte: "Söhnlein, wenn du dorthin kommst, sprich auch für mich." "Wenn Gott mir hilft, dorthin zu kommen, werde ich sowohl für mich als auch für dich sprechen."

Er ging so lange, bis er in der Hölle ankam. Sieht - dort ist seine eigene Tante. "Söhnchen, wie bist du hierher gekommen?" Sie sagte: "Pfui, ich habe einen sehr bösen Mann, ich weiß nicht, wohin ich mit dir soll." Er sprach: "Wegen einer solchen Sache bin ich gekommen und solche und solche habe ich auf dem Weg gesehen. Sie befahlen mir, für sie zu bitten." Die Tante nahm nun alles in ihre eigene Hand, behielt alles im Gedächtnis. Die Tante verwandelte das Knäblein in eine große Nadel, legte sie unter einen Backtrog.

Es kam der Mann am Abend nach Haus. "Was für ein fremder Geruch ist hier?" "Der Geruch, vielleicht ist er an dir selbst dran, der du dort unter dem Volk herumgehst?" Sie nahm den Haken, stocherte in seinem Bauch, da kam eine Menschenhand heraus: "Schau nun, an dir selbst ist der Geruch!" Sie legten sich schlafen. Die Frau schlief nicht ein. Sie tat nur so, als ob sie schliefe: "Hm, Hm!" "Du Hure, du Hündin, was hast du geträumt?" "Weltwunder, was für einen Traum ich hatte! Dort in der Stadt sind die Schlüssel verlorengegangen, man kann der Stadt auf keine Weise zu essen bringen, die Stadt wird des Hungers sterben." Er sagte: "Wer ist dort schief, wer ist gerecht? Man hebe den Stein unter der Schwelle des Kaufmanns auf, dort unter dem Stein sind alle Stadtschlüssel." In der anderen Stadt wiederum unter der und der Hauswand hebe man den Stein hoch, dort gibt es für die ganze Stadt Wasser genug. (Hier ist ein Stück von der Überlieferung verlorengegangen. Die Frau erzählt nun dem Höllengänger, was sie von ihrem Mann gehört hat.) Dem Mann sei natürlich, so sagte sie, keine Hilfe, denn wie hatte er dort in jener Welt gelebt, die Zaunruten hatte er entzweigehauen, er hätte sie nicht zerhauen dürfen. Über die Frau sagte sie das gleiche. In bezug auf den Fisch sagte sie: "Sag es ihm nicht früher, bis du selbst hinüber bist!" Die Frauendaunen gab sie ihm auch, hängte sie in einem Säckchen dem Jungen auf den Rücken. Es kam das Knäblein zu dem Fisch. Der Fisch fragte: "Na, hast du auch für mich gesprochen?" "Warte, bis ich hinübergegangen bin, dann werde ich es dir sagen." Er kam hinüber und sagte: "Dir wurde gesagt: Wenn irgendjemand hinübergeht, stoß ihn hinein, dann bist du selber frei." "Warum hast du das nicht früher gesagt? Ich hätte dich hineingestoßen!" Das Knäblein kam an allen vorbei, und kam auch mit den Frauendaunen nach Haus. In der Stadt wurde das ganze Volk sehr froh, daß er soviel Gutes getan hatte. Er bekam schon mehrere Pferdefuhren mit Geschenken, er kam sehr reich nach Hause.

Der reiche Mann war sehr böse, daß er jetzt mit so viel Hab und Gut ankam, die Frauendaunen brachte er ja auch noch mit, ihm konnte man nichts mehr antun. Der reiche Mann hatte auch einen Sohn. Er dachte, daß er sich doch wohl einen Dreck von dem armen Mann gekauft hatte: "Na, auf diese Weise kann er ja wohl auch Erbe von meinem Hab und Gut werden! Nun hat er sich auch noch so viel Kram mitgebracht. Ich werde meinen Sohn auch Frauendaunen holen schicken, möge er auch was bekommen." Es kam der Sohndes des reichen Mannes auch dorthin, wo die Frau Wasser von Brunnen zu Brunnen trug. Die Frau fragte: "Wohin gehst du?" "Ich gehe in die Hölle Frauendaunen holen." "Frage für mich auch!" "Wir wollen sehen!" Er ging wieder ein Stück weiter, gelangte dorthin, wo die Schlüssel in der Stadt verschwunden waren. Auch dort erkundigte man sich, wohin er geht, und befahl, auch für die Stadt zu bitten. Wieder sagte er: "Wir wollen sehen!" Er gelangte zu dem Fisch. Der Fisch sagte schon nichts mehr. Er begann herüberzugehen, da stieß ihn der Fisch vom Steg, und so blieb er selbst dort als Steg.

Der Vater wartete und wartete zu Hause. Das Herz schmerzte ihm schon, weil sein Sohn nicht kam. "So wird ja der Sohn des armen Mannes Erbe von meinem Hab und Gut werden!" Ging er zur Teerfabrik: "Wer morgen früh als erster hierher kommt, den müßt ihr in den Teerkessel werfen, sonst werdet ihr bestraft!" Er hatte schon alles vorbereitet. Am Morgen trieb er das Knäblein früh heraus. Es stand auf, verbeugte sich vor Gott (=der Ikone), machte das Kreuzeszeichen und ging hinaus. Auf dem Hof waren viele Pferde, es hörte die Pferde im Stall stampfen. Das Knäblein ging in den Stall, beruhigte die Pferde und brachte dort, wo etwas zerschlagen war, alles wieder in Ordnung und legte ihnen Heu vor. Es verging ihm viel Zeit dafür. Jenes Väterchen konnte nicht ruhig in der Stube bleiben: "Ich muß sehen gehen, wie er abgekocht wird." Er ging hin, so war er der erste: das Knäblein war noch nicht angelangt. Man griff ihn an, es war ja mit ihnen so abgemacht worden, und das Väterchen wurde in den Teerkessel geworfen. Er zerkochte, so wurde denn das Knäblein Erbe von seinem Hab und Gut.